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Der ruhelose Geist in Görlitz

  O. u. N. L. Chronik S. 111. Bresl. Handschrift No. 10.

Am linken Ufer der Neiße, wo sie Görlitz von seiner Vorstadt trennt, stehen noch die Ruinen eines Kastells. Dieses Festungswerk, Ochsenkopf genannt, (ob von seiner Stärke oder seiner ovalen Gestalt?) diente ehemals zur Vertheidigung der Stadt und zum besonderen Schutze der Neißbrücke, nebenbei wurde es aber auch zur Marterkammer benutzt, die bei der hoch nothpeinlichen Halsgerichtsordnung des Mittelalters nirgends fehlen durfte. Auch dieses Gebäude ist der Schauplatz gar vieler geheimer ruchloser Schandthaten gewesen und war angefüllt mit all den Marterwerkzeugen jener rohen Zeit. Unter andern berichtet die Sage, daß die Seele eines dieser unschuldig Gemarterten ruhelos allnächtlich in der Geisterstunde im Kastell umherwandele und alle seine Bewohner in Furcht und Grauen versetze. Viele haben jenen Geist in Gestalt eines Flämmchens zwischen den Zinnen sitzen gesehen.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862