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Der spukende Böttchergeselle bei Görlitz

  Akten der Naturf. Gesellsch, Sektion für Altherthümer No. 4. Msc.

Am Fußsteige von Görlitz nach Hennersdorf, 400 Schritt von der Tischbrücke stehen zwei Eichen, die sind verhext, so daß viele Leute sich scheuen, zur Nachtzeit da vorüber zu gehen. Viele sind daselbst von unsichtbarer Hand in der Jrre herumgeführt worden, so daß sie sich erst nach Stunden wieder zurechtfinden konnten. Die Pferde scheuen oft an dieser Stelle und der Reiter thut gut, abzusteigen und sein Pferd behutsam vorüberzuführen.

Das Alles kommt von einem ersäuften Böttchergesellen, dessen Geist keine Ruhe hat.

Eine Botenfrau aus Görlitz erzählte, daß sie ihn deutlich gesehen habe, und daß er vor ihren sichtlichen Augen im Graben verschwunden sei. Bei Lebzeiten war der Spukgeist ein fleißiger und ordentlicher Böttchergeselle, der bei einem Görlitzer Meister in Arbeit stand und sich viel Geld verdiente, weil Niemand so schöne Arbeit liefern konnte als er. Da er aber uneins wurde mit seinem Meister, kündigte er diesem die Arbeit auf und wollte von ihm das Geld, das er ihm „zur Aufbewahrung“ gegeben, zurück haben. Aber sein Besitzthum war längst von dem liederlichen Meister durchgebracht worden. Um sich seiner zu entledigen, bewog ihn eines Tages der Meister, mit ihm einen Spaziergang nach Hennersdorf zu machen, und stieß ihn in der Nähe der beiden Eichen in die Neiße, daß der arme Bursche schmählich ertrinken mußte.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862