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Der Mönch auf dem Kirchthurme

  Breslauer Handschrift No. 16.

Auf dem Kirchthurme zu Meffersdorf treibt ein alter Mönch sein Wesen. Der muß keine Ruhe im Grabe haben. Einst geht der Nachtwächter Morgens um die vierte Stunde auf den Thurm, den Morgen einzuläuten, kommt an den Absatz, wo der Strang hangt, läutet und läutet – aber die Glocken schlagen nicht an und er kann keinen Ton hören; denkt bei sich, was mag nur das zu bedeuten haben und steigt die Stiege hinan bis zu den Glocken. Da steht ein alter Mönch mit einem schrecklichen Gesichte, der giebt ihm auf einmal eine Ohrfeige, daß er bewußtlos niedersinkt.

Allmählich erwacht er aus seiner Betäubung, denkt, das soll Dir nicht zweimal begegnen und geht einen andern Weg als er herauf gekommen durch ein kleines Thürchen von Lehm zurück. Aber hinter ihr steht wieder der furchtbare Mönch, grinset ihn höhnend an, und giebt ihm eine noch bedeutendere Ohrfeige als zuvor. Der alte Nachtwächter stürzt wieder betäubt zu Boden. Wie er erwacht, scheint der helle Tag durch die Thurmfenster und der Mönch ist verschwunden.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862