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Der verbannte Geist zu Wiesa

  Sammlung von Schön No. 70. Msc.

In dem Schlosse zu Wiesa rumorte früher ein Gespenst, von dem die Sage erzählt, daß es die ruhelose Seele eines früheren Besitzers des Schlosses gewesen sei. Derselbe ist ein harter und tyrannischer Herr gewesen, hat die Bauern geschunden, ist nie in die Kirche gegangen und hat Gott und dem Teufel getrotzt. Als er gestorben war, sollte ein vierspänniger Leichenwagen den Leichnam in sein Erbbegräbniß zu Rengersdorf bringen. Aber wie sehr auch die Pferde angetrieben wurden, der Wagen wollte nicht recht von der Stelle gehen, die Stränge rissen und die Pferde schnaubten. Schaudernd entfernten sich alle Leichenbegleiter. Endlich hat man den Wagen mit unsäglicher Mühe von der Stelle gebracht, aber so langsam, daß der Leichenzug von früh um neun Uhr bis Mitternacht unterwegs gewesen ist.

In dem öden Schlosse zu Wiesa war an demselben Abend nur der Nachtwächter wach. Als derselbe eben Mitternacht verkünden will, stockt ihm plötzlich vor Schreck die Stimme, denn hoch oben in der Luft über das Hofthor hinweg kommt mit vier schnaubenden Pferden in schwarzer Kutsche der eben begrabene Herr daher gefahren und hält bei dem Schlosse still. Seit jenem Tage hat es im Schlosse gespukt, daß es kein Mensch hat aushalten können.

Der Scharfrichter aus dem nahen Böhmerlande übernahm es, den Geist zu bannen. Der älteste Hofgärtner mußte, nachdem er zwanzig Thaler Lohn empfangen, um Mitternacht mit dem Henker in den Saal des Schlosses gehen und einen großen und festen Sack mitnehmen, um darin den Geist zu fangen.

Der Scharfrichter stellte nun seine Beschwörungen an und der Geist erschien in Gestalt eines Pfaues. Aber der Geisterbanner rief: Du bist noch zu groß und versetzte ihm mit einer Ruthe, die er in der Hand hielt, einen Schlag. Da verschwand der Pfau und es erschien ein Hahn; aber der Geisterbanner rief wiederum: Du bist noch zu groß und schlug den Hahn. Der Hahn verschwand und es erschien eine Krähe. Der Zauberer steckte sie in den Sack, band ihn fest zu und sprach zu seinem Begleiter: Gärtner, folge mir, aber sieh' Dich nicht um, und wenn Dir die Last zu schwer wird, so ächze und sie wird sich erleichtern. So geschahs. Die Nacht war finster und stürmisch und die Wanderung ging durch die Häuser und Gärten hindurch, bis an die Grenze des Dorfes, an ein dort befindliches Birkengebüsch. Der Scharfrichter rief hinein: Macht Platz. Da ertönte es aus der Luft herab: Es ist kein Platz, denn es waren ihrer schon zwei dahin verbannt. Erst beim dritten Rufe des Scharfrichters ertönte die Antwort: Ich habe gerückt und Platz gemacht. Auf der Stelle wurde der Sack geöffnet und unter heftig brausendem Sturme flog das Gespenst an den Ort seiner Bestimmung.

Im Schlosse ist es seitdem ruhig geworden, aber „im Grenzbirchen“ haben die Leute manchmal gespenstige Hähne, Hühner und Krähen auf- und abwandeln sehen.

Anmerkungen: Es ist slavischer Volksglaube, daß die Seelen der Verstorbenen als Vögel umher flattern (Hanusch, slav. Mythol. S. 272). Als die Hexe Sidonia von Bork verbrannt wurde, flog ihre Seele aus den Flammen als eine Elster auf; dle spukt seitdem in der Abenddämmerung (Temme, Pommersche Sagen 1840 S. 291).

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862