<<< vorherige Sage | Vierte Abtheilung: Spukgeister- und Gespenstersagen | nächste Sage >>>

Der Zaubervogel auf der Lausche

  Nach Gräve, S. 95.

Auf der Lausche bei Zittau zeigt sich – aber äußerst selten – ein wunderbarer Vogel, fast wie ein Adler gestaltet, aber bunter und mit wunderlichem glänzenden Gefieder.

Dieser Vogel ist ein verzauberter Prinz vom Böhmerlande. Der war im Leben schön von Angesicht und herrlich von Gestalt, klug und beredt, wohlthätig und gerecht, und hatte nur den einen Fehler, daß er die Jagd leidenschaftlich liebte und alles Andere darüber vergessen konnte. Eines Tages jagte er in der Mittagsstunde in der Nähe der Lausche. Ein Adler kreiste in der Luft und der Prinz verfolgte ihn bis an den Fuß des Berges. Da senkte sich der Adler und mit sicherem Schusse traf ihn der Pfeil des Prinzen, daß er mit durchbohrter Brust herabstürzte in die Wipfel der Bäume.

Der Prinz eilte in den Wald, den gefallenen König der Lüfte aufzusuchen. Da kam er an einen umzäunten Garten, den er noch nie gesehen, so oft er auch schon auf dem Berge gejagt hatte. Aber er setzte entschlossen über das Gehege hinweg. Da lag der getödtete Adler mitten unter wunderbar gestalteten, herrlich duftenden Blumen. Er wollte ihn ergreifen und eilig zurück gehen, denn es ward ihm unheimlich zu Muthe zwischen den glänzenden Blumen und den betäubenden Gerüchen der Kräuter. Schon streckte er die Hand nach seiner Beute aus. Da rief eine Donnerstimme: Halt! und aus den Büschen trat ein schrecklich anzusehender Zauberer in langem, faltigen Gewande. Er schwang seinen Zauberstab und rief: Was thust Du hier in meinem Reich und schießest meine Vögel, Vorwitziger? Sei, was Du getödtet hast, ein Adler, jedoch gebannt an diesen Zauberberg. Und so geschah's.

Noch immer harrt der Prinz auf seine Erlösung; doch geht die Sage, daß ein Jäger, der seiner Herrschaft nie auch das Geringste nur entfremdet hätte, den Wundervogel schießen, den Prinzen erlösen und durch ihn reich und glücklich werden könne.

Anmerkungen: Diese Sage kann sowohl zu den Zaubersagen, als auch unter den Sagenkreis des wilden Jägers gezählt werden. In der Niederländischen Sage (Wolf, No. 260.) verwünscht ein Vater seinen Sohn, der ein leidenschaftlicher grausamer Jäger ist, sterbend in einen Raubvogel und ruft: „So jage für ewig“. Odin wird auf der Flucht vor Suttunger in einen Adler verwandelt. Der Adler ist ein Symbol des Windes. Der Wind entsteht in der nordischen Sage von dem Flügelschlag eines Adlerriesen, der am Ende des Himmels sitzt. Aus Walter Scotts Roman „der Pirat“ erfährt man, daß die Shetlands-Inselbewohner den Wind in Gestalt eines Adlers beschwören carog stammt vielleicht von ÖzG), wehen, her; aquila erinnert an aquilo, Aar, an ang, aër.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862