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Das verwunschene Schloss

In alter Zeit, als Tetschen noch mit einer Stadtmauer umgeben war und jedes Handwerk noch große Rechte hatte, gab es in Tetschen auch einen Schneider, dem es sonst recht gut ging, sodass er zu den hohen Festtagen viele Bestellungen aus der ganzen Umgebung entgegenzunehmen hatte. So war wieder einmal Palmsonntag herangekommen, und wie die Natur sich herrlich zu schmücken begann, so wollten auch viele Leute im Land ihren Winterpelz mit einem leichten Wams eintauschen. Sehnsüchtig erwartete daher so mancher Bauersmann den Schneider, der ihm sein neues Gewand bringen sollte. Der Schneider war fleißig gewesen, um seine Kunden zu befriedigen, borgte sich ein Pferd und machte sich am Samstag frühzeitig mit den bestellten Kleidern auf den Weg. Aber es gelang ihm nichts wie er beabsichtigte, vor Einbruch der Dunkelheit die Stadt wieder zu erreichen, denn hier und dort musste er sich etwas erzählen oder gar ein Gläschen trinken. So war es bereits recht dunkel geworden, als er die alte Lausitzer Straße auf Tetschen zu ritt. Das war unserem Meister Hietel nun gar nicht recht. Er hatte ein hübsches Stück Geld bei sich. Rechts und links vom Weg war Wald bis an die Stadt heran. Da bereute er, dass er sich so lange aufgehalten hatte. Zu allem Unglück ging ihm auch nach die Pfeife aus. Damit war auch sein letztes Fünkchen Mut erloschen.

So war er endlich bis zum Hainhübel gekommen, als auf einmal sein Weg, der ihm ohnedies schon beschwerlich war, durch eine seltsame Erscheinung gehemmt wurde. Er sah auf der anderen Seite der Straße ein hell erleuchtetes Gebäude mit vielen vorspringenden Türmchen und Ecken und einem von einer Mauer umgebenen Vorhof. In seinem Leben hatte der Schneider noch nie gehört, dass hier an dieser Stelle ein Schloss oder irgendein Gebäude gestanden habe, viel weniger noch bestehe. Er glaubte also, seinen Weg verfehlt zu haben, band seinen abgemagerten Klepper an einen Baum und nahm sich ein Herz, um in den Hof einzutreten. Ein mächtiger Eichbaum neigte sein Haupt über das offene Eingangstor zum Vorhof, in dem ein ruhig flackerndes Feuer brannte. Darum hatten sich einige dunkle Gestalten, in weite Mäntel gehüllt, gelagert. Diese wollte Hietel um Auskunft fragen, wo er eigentlich sei.

Als er dem Feuer näher getreten war, erhob sich auch einer der Wächter und blickte Hietel mit durchbohrendem Blick an, sodass ihm unwillkürlich der Angstschweiß auf die Stirn trat. Seine Füße fingen an zu wanken, er war einer Ohnmacht nahe und wusste nicht, warum er hereingekommen war und was er fragen wollte. Endlich kehrte seine Kraft zurück. Mit heiserer Stimme bat er den unheimlichen Fremden um etwas Kohle vom Feuer, um seine Pfeife wieder in Brand zu setzen. Der Wächter wies mit demselben finsteren Blick ins Feuer, und Meister Hietel holte sich zitternd ein glimmendes Stückchen heraus und tat ein paar kurze, angstvolle Züge. Nun erwärmte das Feuer der Pfeife wieder ein wenig das Herz des Schneiders. Er fasste den Mut, sich nach dem Weg zu erkundigen und zu fragen, was das Schloss und alles andere bedeute. Da nun aber konnte er nichts erfahren, denn der Fremde schüttelte betrübt und so mürrisch den Kopf, als wollte er sagen, er möchte antworten, aber er dürfte nicht, und es schien, als wollte er in einen tiefen Schlaf sinken. Mit Verwunderung sah das der Schneider. Er bemerkte wohl, dass hier nichts zu erfahren sei. Mit bedächtigen Blicken schlich er sich daher zu seinem Gaul, um seinen Weg im finsteren Wald fortzusetzen. So ritt er weiter fort über Stock und Stein den holprigen Weg, der, statt ihn talwärts zu führen, immer steiler wurde, sodass sein Pferd keuchte, stolperte und seinen Reiter rechts und links an die Bäume anstieß. Plötzlich blieb die Mähre ganz entsetzt stehen, wieherte und schnaubte. Hietel konnte sie trotz allen Zerrens nicht bewegen, nur einen Schritt in das schreckhafte Dunkel zu tun. Ermattet und zitternd vor Kälte stieg er nun ab und setzte sich auf einen in der Nähe liegenden Holzstamm, um sich hier willenlos in sein Geschick zu ergeben.

Endlich brach im Osten der Tag an, und Hietel konnte erkennen, wo er war. Mit neuem Schrecken erkannte er nun, dass er in der Nähe des Galgens übernachtet und ihn nur sein treues Tier vor einem jähen Tod bewahrt hatte, denn vor sich sah er den felsigen Abgrund, der jäh zur Elbe abstürzt. Jedoch noch war des Seltsamen nicht genug geschehen, denn als er zu Hause seine Pfeife zur Hand nahm, fand er darin statt der vermeintlichen Kohle ein funkelndes Goldklümpchen. Nun erst konnte er sich die nähere Aufklärung geben und stand wie geblendet da, als er an die vergangene Nacht zurückdachte und einsah, dass er auf dem richtigen Weg gewesen und in das verwunschene Schloss am Hainhübel geraten war. Das vermeintliche Lagerfeuer, um welches die spukhaften Gestalten lagerten, war der unermessliche Schatz, der alljährlich zur Osterzeit aus dem Berg dort heraufsteigt. Hätte Hietel statt seiner ängstlichen Fragen dem erstbesten Wächter einen herzhaften Spruch entgegengebracht, so hätte ihm jener den ganzen Reichtum des Berges aufgetan und der Zauber wäre gelöst worden.

Quelle: Oskar Ebermann, Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten, Verlag Hegel & Schade, Leipzig


2024/03/14 07:35 · 2024/03/14 10:51 · ewusch