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Die Pest kommt nach Branitz

  Branitz

Wenn sich die Pest einem Dorfe nähert, so muss man um dasselbe mit dem Henkel eines kupfernen Kessels, welcher aus einem ausgestorbenen Hause herrührt, einen Kreis ziehen. Diesen Kreis kann die Pest nicht überschreiten, es sei denn, dass sie mit Gewalt hinüber gezogen wird. Dass dem so ist, haben auch die Leute in einem Dorfe bei Cottbus erfahren.

Die Pest wüthete im Lande, die Bauern des Dorfes aber hatten sich vor derselben durch den Kreis, welchen sie um das Dorf gezogen hatten, gesichert. Eines Tages fuhr aus diesem Dorfe der Müller nach seiner auswärts gelegenen Mühle. Bei seiner Rückfahrt sah er am Wege eine weißgekleidete Frau liegen, welche ihn dringend bat, er mochte sie doch mit auf den Wagen nehmen, sie wolle auch nach dem Dorfe. Der Müller ging auf die Bitte der Frau ein. Unterwegs erkundigte sie sich nach allen Bewohnern seines Hauses. Der Müller nannte die Namen Aller, bis auf einen, welchen er zufallig vergass. So waren sie bis an den Ring gekommen, welcher um das Dorf gezogen war. In demselben Augenblicke fiel die Frau vom Wagen. Der Mann half ihr wieder auf den Wagen, sie fiel aber noch einmal herunter.

Jetzt wollte der Müller die Frau liegen lassen, sie aber bat und klagte so, dass er sie seinem Wagen, welchen die Pferde einige Schritte weiter gezogen hatten, an der Hand nachschleppte. Darauf half er der Frau wieder auf den Wagen und kam mit ihr glücklich zu Hause an. Als er auf seinem Hofe still hielt; bemerkte er, dass die Frau verschwunden war. Der Müller aber hatte noch immer kein Arges von allen diesen Vorgängen. Er setzte sich mit seiner Familie zu Tische. Plötzlich hörte er, wie sich die Thüre öffnete und die weißgekleidete Frau in das Zimmer trat. Er sah, wie sie unter ihrer Schürze eine hölzerne Kelle hervornahm und damit den auf den Kopf schlug, dessen Namen er zu nennen vergessen hatte. Der Geschlagene fing mit einem Male an, über Kopfschmerz zu klagen. Das aber waren die ersten Anzeichen der Pest. Da merkte der Müller, was er für ein Unheil angerichtet, dass er die weißgekleidete Frau in das Dorf gebracht hatte. Nun war die Pest im Dorfe und bald starben fast alle Bewohner desselben.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880