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Zwerg-Sagen

I. Zwerg-Sagen auf der Süd-Seite des Harzes

„Die kleinen Hölen in den Felsen (welche man in einigen Gegenden der Grafschaft Hohenstein häufig findet, und die größtentheils so niedrig sind, daß erwachsene Menschen nur hineinkriechen können, zum Theil aber einen geräumigen Auffenthalt für größere Gesellschaften darbieten), waren einst von Zwergen bewohnt, und heißen von ihnen noch jetzt Zwerg-Löcher.“

„Zwischen Walkenried und Neuhof (in der Grafschaft Hohenstein) hatten einst die Zwerge zwei Königreiche.“

„Einst bemerkte ein Bewohner jener Gegend, daß seine Feldfrüchte alle Nächte beraubt wurden, ohne daß er die Thäter entdecken konnte. Endlich ging er, auf den Rath einer weisen Frau, bei einbrechender Nacht, an seinem Erbsenfelde auf und ab, und schlug mit einem dünnen Stabe über dasselbe in die Luft. Es dauerte nicht lange, so standen einige Zwerge leibhaftig vor ihm. Er hatte ihnen die Nebelkappen abgeschlagen, die sie unsichtbar machen. Zitternd fielen die Zwerge vor ihm nieder, und bekannten: daß ihr Volk es sey, welches die Felder der Landesbewohner beraube, wozu aber die äußerste Noth sie zwänge.“

„Die Nachricht von den eingefangenen Zwergen brachte die ganze Gegend in Bewegung. Das Zwerg-Volk erbot sich endlich durch Abgeordnete, sich und seine gefangnen Brüder zu lösen, und dann auf immer das Land zu verlassen. Doch, die Art des Abzuges erregte neuen Streit. Die Landesbewohner wollten die Zwerge nicht mit ihren gesammelten und versteckten Schätzen abziehen lassen, und das Zwerg-Volk wollte bei seinem Abzuge nicht gesehen seyn. Endlich kam man dahin überein, daß die Zwerge über eine schmale Brücke bei Neuhof ziehen, und daß jeder von ihnen, in ein dorthin gestelltes Gefäß, einen bestimmten Theil seines Vermögens, als Abzugs-Zoll, werfen solle, ohne daß einer der Landesbewohner zugegen wäre. Dies geschah. Doch einige Neugierige hatten sich unter der Brücke versteckt, um den Abzug der Zwerge wenigstens zu hören. Und so hörten sie denn viele Stundenlang das Getrappel der kleinen Menschen; es war ihnen, als wenn eine sehr große Heerde Schaafe über die Brücke ging.“

„Seit dieser letzten großen Auswanderung des Zwerg-Volks, lassen sich nur selten einzelne Zwerge sehen. Doch, zu den Zeiten der Elterväter, stahlen zuweilen einige in den Berghölen zurückgebliebene Zwerge, aus den Häusern der Landesbewohner, kleine kaum geborne Kinder, die sie mit Wechselbälgen vertauschten.“

„Auch an den Sümpfen, den kleinen unterirrdischen Seen,1) Erdfällen u. s. w., wohnten sonst kleine Menschenähnliche Gestalten. Sie hießen Nixe.“

„Einst holte ein Nix des Nachts die Hebamme aus einem Dorfe, und brachte sie, unter großen Versprechungen, zu der Wasservertiefung, wo er mit seinem Weibe wohnte. Er führte sie in seine unterirrdische Behausung herab; und die Hebamme verrichtete ihr Amt. Der Nix belohnte sie reichlich. – Ehe sie aber wegging, winkte ihr die Kindbetterin, und klagte ihr heimlich, mit einem Thränenstrom, daß der Nix das neugeborne Kind erwürgen würde. Und wirklich sahe die Hebamme, einige Minuten nachher, auf der Oberfläche des Wassers, einen blutrothen Strahl. Das Kind war ermordet.“

II. Zwerg-Sagen auf der Nord-Seite des Harzes

„Einst wohnten viele tausend Zwerge in den Fels-Klüften, und in den noch vorhandenen Zwerg-Löchern2). Aber, nur selten erschienen sie den Landesbewohnern in sichtbarer Gestalt; gewöhnlich wandelten sie, durch ihre Nebelkappen geschützt, ungesehen und ganz unbemerkt unter ihnen umher.“

„Manche dieser Zwerge waren gutartig, und den Landesbewohnern, unter gewissen Umständen, sehr behülflich; die z. B. bei Hochzeiten und Kindtaufen, mancherlei Tischgeräthe aus den Hölen der Zwerge erborgten. Nur durfte sie niemand zum Zorn reizen; sonst wurden sie tückisch und bösartig, und thaten dem, der sie beleidigte, allen möglichen Schaden.“

„In dem Thal zwischen Blankenburg und Quedlinburg bemerkte einst ein Becker, daß ihm immer einige der gebacknen Brodte fehlten; und doch war der Dieb nicht zu entdecken. Dieser beständig fortdauernde geheime Diebstahl, machte, daß er allmählich verarmte. Endlich kam er auf den Verdacht, daß die Zwerge Ursach an seinem Unglück seyn könnten. Er schlug also mit einem Geflechte von schwanken Reisern so lange um sich her, bis er die Nebelkappen einiger Zwerge traf, die sich nun nicht mehr verbergen konnten. Es wurde Lärm. Man ertappte bald noch mehrere Zwerge bei Diebereien, und nötigte endlich den ganzen Ueberrest des Zwerg-Volks auszuwandern.“

„Um aber die Landeseinwohner einigermaßen für das Gestohlne zu entschädigen, und zugleich die Zahl der Auswandernden überrechnen zu können, wurde auf dem jetzt sogenannten Kirchberg, bei dem Dorf Thale, wo sonst Wendhausen lag, ein großes Gefäß hingestellt, worin jeder Zwerg ein Stück Geld werfen mußte. Dieses Faß fand sich, nach dem Abzuge der Zwerge, ganz mit alten Münzen angefüllt. So groß war ihre Anzahl.“

„Das Zwerg-Volk zog, über Wahrnstedt (ein Dorf unweit Quedlinburg) immer nach Morgen zu. Seit dieser Zeit sind die Zwerge aus dieser Gegend verschwunden. Nur selten ließ sich seit dem, hier und da, ein einzeler Zwerg sehen.“

III. Zwerg-Sagen aus Dardesheim, einem Städtchen zwischen Halberstadt und Braunschweig

„Dicht an der nordöstlichen Seite des Städtchens ist ein Quell des schönsten Wassers, welcher der Smans (Leßmans) Born heißt, und aus einem Berge hervorquillt, in dem in der Vorzeit die Zwerge wohnten. – Wenn die ehmaligen Einwohner der Gegend ein Feierkleid, oder an einem Familienfest ein seltneres Geräthe gebrauchten, so gingen sie vor diesen Zwerg-Berg, klopften dreimal an, und sagten mit deutlicher und vernehmlicher Stimme ihr Anliegen. Und – „Frühmorgens, eh die Sonn’ aufgeht, Schon alles vor dem Berge steht.“ – Die Zwerge fanden sich hinlänglich belohnt, wenn ihnen etwas von den festlichen Speisen vor dem Berg hingesetzt wurde.“

„Den Zwerg-Berg zieht, auf der östlichen Seite, ein Stück Acker hinan. Dieses Feld hatte einst ein Schmidt, Namens Riechert, mit Erbsen bestellt. Er bemerkte, als sie am wohlschmeckendsten waren, daß sie häufig ausgepflückt wurden. Um dem Erbsendieb aufzulauern, baute sich Riechert ein Hüttchen auf seinen Acker und wachte Tags und Nachts dabei. Am Tage entdeckte er keine Veränderung. Aber alle Morgen sah’ er, daß, seines Wachens unerachtet, in der Nacht sein Feld bestohlen war. Voll Verdruß über seine mißlungene Mühe, beschloß er, seine noch übrigen Erbsen auf dem Acker auszudreschen. Mit Tages-Anbruch begann Schmidt Riechert seine Arbeit. Aber, noch hatte er nicht die Hälfte der Erbsen ausgedroschen, so hörte er ein klägliches Schreien. Beim Nachsuchen fand er auf der Erde, unter den Erbsen, einen der Zwerge, dem er mit seinem Dreschflegel den Schädel eingeschlagen hatte, und der nun sichtbar war, da er seine Nebelkappe verloren hatte. – Der Zwerg floh’ eilends in den Berg zurück.“

„Doch störten dergleichen kleine Streitigkeiten das gute Vernehmen des Zwerg-Volks und der Landeseinwohner nur auf kurze Zeit. Aber die Zwerge wanderten endlich doch aus, weil ihnen die neckenden Spöttereien mancher Landesbewohner unerträglich waren, so wie der Undank bei manchen erwiesenen Gefälligkeiten. – Seit der Zeit sieht und hört man keine Zwerge mehr.“

Quelle: Johann Karl Christoph Nachtigal: Volcks-Sagen. Wilmans, Bremen 1800, Seite 313]


1)
Z. B. an der Kelle, unweit der Werne im Hohensteinischen.
2)
Es verdiente vielleicht einige Nachforschungen, wie weit dergleichen Zwerg-Löcher von dem Volk gezeigt werden? – Bei dem magdeburgischen Städtchen Seehausen zeigt man noch dergleichen Zwerg- oder (wie man sie dort auch nennt) Kröppel-Löcher.