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Der verzauberte Kaiser

„Ein Bergmann, der still und fromm für sich lebte, ging einst am dritten Ostertag auf den Kyffhäuser. Da fand er an der hohen Warte einen Mönch sitzen, mit einem langen weißen Bart, der ihm bis auf die Knie reichte. Als dieser den Bergmann sahe, machte er ein grosses Buch zu, worin er las, und sagte freundlich zu ihm: Komm mit mir zum Kaiser Friedrich, der wartet schon seit einer Stunde auf uns. Der Zwerg hat mir schon die Springwurzel gebracht.

Dem Bergmann eiste es über den ganzen Körper; doch der Mönch sprach ihm so tröstlich zu, daß er ganz freudig mitging, und ihm versprach, keinen Laut hören zu lassen, es möchte auch kommen, was käme. Sie gingen nun auf einen freien Platz, der ringsum von einer Mauer umschlossen war. Da machte der Mönch einen großen Kreis mit seinem Krummstabe, und schrieb wunderbare Zeichen in den Sand. Dann las er lange und laut Gebete, aus dem großen Buch, die der Bergmann aber nicht verstand. Endlich schlug er mit seinem Stabe dreimal auf die Erde, und rief: Thue dich auf!

Da entsteht unter ihren Füßen ein dumpfes Getöse, wie bei einem fernen Gewitter; es zittert unter ihnen die Erde. Und nun sinkt der Bergmann mit dem Mönch, der seine Hand gefaßt hat, mit dem Boden, so weit der Kreis umzeichnet war, ganz sanft in die Tiefe hinab. Sie treten hinunter, und der Boden steigt wieder langsam hinauf. Nun waren sie in einem großen Gewölbe.

Der Mönch geht mit festem Schritt voran, der Bergmann mit zitternden Knien hinterher. So gehn sie einige Gänge hindurch, bis es anfängt ganz dunkel um sie her zu werden. Bald aber finden sie eine ewige Lampe, und sehen, daß sie sich in einem geräumigen Kreuzgang befinden. Der Mönch steckt hier zwei Fackeln an, für sich und seinen Begleiter. Sie gehen fort, und mit einemmal stehen sie vor einem großen eisernen Kirchenthor.

Der Mönch betet, hält die Springwurzel, vor der alle bezauberte Riegel aufspringen, an das Schloß, und ruft: Oefne dich Thür! Und mit Donnerkrachen springen alle die eisernen Riegel und Schlösser von selbst auf, und sie sehen vor sich eine runde Kapelle. Der Boden war spiegelglatt, wie Eis, und wer nicht keusch und züchtig gelebt hatte (so sagte nachmals der Mönch dem Bergmann) brach hier beide Beine, und kam nie zurück. Die Decke und die Seitenwände des runden Gewölbes flimmerten und flammten beim Schein der Fackeln. Große Zacken von Kristall und von Diamanten hingen da herab, und zwischen ihnen noch größere Zacken von gediegenem Golde. In der einen Ecke stand ein goldner Altar, in der andern ein goldnes Taufbecken auf silbernem Fuß.

Der Mönch winkte nun seinem Begleitet, gerade in der Mitte stehen zu bleiben, und gab ihm in jede Hand eine Fackel. Er selbst ging zu einer ganz silbernen Thür, klopfte dreimal mit dem Krummstabe an, und die Thür sprang auf.

Der Thür gerade gegenüber saß auf einem goldnen Thron der Kaiser Friedrich, nicht etwa aus Stein gehauen, nein! wie er leibte und lebte, mit einer goldnen Krone auf dem Kopf, mit dem er beständig nickte, indem er die grossen Augenbraunen zusammenzog. Sein langer, rother Bart war durch den steinernen Tisch, der vor ihm stand, durchgewachsen, und reichte ihm bis auf die Füße herab. Dem Bergmann verging Hören und Sehen über dem Anblick.

Endlich kam der Mönch zurück und zog seinen Begleiter schweigend fort. Die silberne Pforte schloß sich selbst wieder zu; das eiserne Thor schlug, mit schrecklichem Geprassel, hinter ihnen zusammen. Als sie den Kreuzgang hindurch wieder in die vordre Höle kamen, senkte sich langsam der kreisrunde Boden herab. Beide traten darauf und wurden sanft in die Höhe gehoben.

Oben gab der Mönch dem Bergmann zwei kleine Stangen von einem unbekannten Erz, die er aus der Kapelle mitgebracht hatte, welche seine Urenkel noch jetzt zum Andenken aufbewahren.“

Quelle: Johann Karl Christoph Nachtigal: Volcks-Sagen. Wilmans, Bremen 1800, Seite 161