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Die verliebte Nixe

  bei Vetschau R

Es war einmal ein Nix, der hatte mehrere Kinder, einige Söhne und drei schöne Töchter. Die Töchter gingen an den Sommerabenden bis zum nächsten Dorfe spazieren, oder sie sassen am Ufer des Teiches und hörten, wie die Nachtigallen sangen.

Die eine von den Töchtern hatte sich in den Sohn eines Bauers aus dem Dorfe verliebt; dieser war von ihr bezaubert worden, so dass er jeden Abend zu ihr kam. Da sagte der junge Bauer eines Tages: „Ihr sollt dort unten so schön wohnen, kann ich Euer Haus nicht einmal sehen?“ Seine Geliebte erwiederte: „Das kann geschehen, wenn unser Vater fern ist; ist er daheim, so würde er Dich umbringen.“ Der junge Bauer wiederholte fortan jeden Abend seinen Wunsch. Eines Abends sprach die Tochter des Nix zu ihm: „Heute wandert mein Vater auf lange Zeit fort, da kannst Du bei mir bleiben.“ Darauf nahm sie eine Erlenruthe und hieb damit in den Teich. Sogleich theilte sich das Wasser; die Nixe und ihr Geliebter gingen Arm in Arm in den Teich. Sie waren noch nicht weit gegangen, so kamen sie an einen schönen Palast, in welchen sie eintraten. In dem Palast war Alles von Krystall und gar herrlich anzusehen. Nur in einem Winkel des Schlosses stand eine grosse Tonne, aus der roch es sehr nach Fischen. Da fragte der junge Bauer, was da drinnen sei. „Fische,“ antwortete das Mädchen, „die wir essen, denn das ist die einzige Speise, welche wir hier bekommen.“ Der junge Bauer schüttelte sich, blieb aber doch einige Tage unten. Endlich sprach das Mädchen zu ihm: „Jetzt musst Du gehen, heute kommt der Vater; findet er Dich, so könnte es schlimm werden. Komm nur Abends wieder an den Teich.“ Der junge Bauer ging fort, das Mädchen begleitete ihn bis an das Ufer.

Unterdessen war der alte Nix nach Hause gekommen. Kaum befand er sich im Palast, so roch er, dass ein Mensch in seinem Hause gewesen war. Er fragte den jüngsten Sohn, ob er nicht wisse, wer dagewesen sei, aber derselbe sagte, er dürfe nichts verrathen. Da ward der Nix zornig, der Kleine bekam Angst und sagte: „Die jüngste Schwester hat ihren Liebsten hier gehabt.“ Indem trat diese in die Stube, aber der Vater sagte kein Wort von dem, was er erfahren hatte; er sagte nur, dass er wieder verreisen müsse.

Als die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen in das krystallene Haus sandte, setzte der Vater sein rothes Käppchen auf und ging fort. Sogleich machte sich auch seine Tochter auf den Weg. Kaum war dies geschehen, so kehrte der alte Nix zurück und versteckte sich in die Tonne. Am Ufer sass der junge Bauer und wartete auf sein Mädchen: da theilte sich plötzlich das Wasser und die Tochter des Nix sprang an das Ufer. Die Nixe und ihr Geliebter sassen lange Arm in Arm, endlich aber sprach der junge Bauer: „Die Wächter pfeifen, ich muss gehen.“ Aber die Tochter des Nix sagte: „Mein Vater ist fort, komm wieder mit mir.“ Da sprach der junge Bauer: „Wenn Dein Vater fort ist, so komme ich die Nacht zu Dir und bleibe bis zum Morgen“.

Alsbald schlug seine Geliebte mit einer Erlenruthe in den Teich; das Wasser theilte sich, wie das erste Mal. Darauf gingen beide in das Krystallhaus und freuten sich ihrer Liebe. Endlich gingen sie schlafen. Als der alte Nix merkte, dass der junge Bauer fest schlief, ging er leise in die Kammer, betrachtete ihn genau und sprach: „Schön bist Du, Menschenkind, aber bevor meine jüngste Tochter unglücklich wird, magst Du sterben, denn unser Geschlecht kann nimmer mit Euch Menschen zusammen leben; wir sind von Ewigkeit und Ihr müsst vergehen.“ Darauf sprang er auf ihn zu und biss ihn in die Kehle. Der junge Bauer schrie auf, aber der Nix biss noch einmal zu, da war der junge Bauer todt. Als die Tochter des Nix sah, was ihr Vater gethan hatte, jammerte sie laut auf, aber ihr Vater sagte: „Hinaus mit ihm.“ Da trug sie die Leiche ihres Geliebten an das Ufer und weinte sehr. Am andern Morgen fanden Leute die Leiche des jungen Bauern am Teich; sie sagten, er sei ertrunken und trugen ihn in das Dorf. Die Tochter des Nix ist noch oft am Ufer gesehen worden. Da, wo sie sich gezeigt hat, sind stets die schönsten Lilien gewachsen.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880