Nächtlicher Bockritt

Ein junger Mann aus Jülich war den Werbern in die Hände gefallen und von diesen als Soldat nach Spandau gebracht worden. Schon sieben Jahre hatte er hier auf der Feste gedient und in der Zeit nichts mehr aus der Heimat vernommen. Da ergriff ihn, als er einsam auf dem hohen Wall der Festung stand und nach Westen, nach seinem Vaterlande, schaute, großes Heimweh. Der Krieger weinte und seufzte, und sehnsüchtig rief er nach Vater und Mutter.

Da schlug ein alter Korporal, der freiwillig schon 40 Jahre diente, dem Jammernden freundlich auf die Schulter, und da er ein Landsmann des Jülichers und gar aus dem benachbarten Herzogenrath war, erklärte er sich bereit, seinem Seufzen ein Ende zu machen. Er bekannte sich dem Jülicher als Bockreiter und bedeutete ihm, er werde in Jülich sein, ehe am nächsten Morgen der Hahn krähte.

Der Soldat stand sinnend und betroffen, nachdem der Korporal ihm den Rücken gewendet; von den Reitern aus Herzogenrath hatte man ihm so viel Schreckliches und Wunderbares berichtet. Er wußte, daß die Bockreiter schneller sind als der Wind, daß sie an einem Tage in der Türkei dem Sultan die Wäsche gestohlen und anderen Morgens schon in London feilgeboten haben. So erwartete der Jülicher Soldat mit gemischten Gefühlen die Mitternacht.

Die Nacht war kalt, und der Sturm heulte; die Eulen krächzten im Turm. Da nahte der alte Korporal dem Soldaten, der ihn - auf der Bastei stehend - erwartete. Der Korporal winkte mit dem Stocke, und zu seiner Seite erschien plötzlich ein zottiger Bock; der war schwärzer als die Raben und schwärzer als die Nacht. Seine Augen glühten wie Feuer aus dunklem Schacht. Der alte Bockreiter reichte dem jungen Landsmann einen Trunk und riet ihm, Mut zu trinken zu dem langen Ritt. Er mahnte ihn, bei etwaiger Angst nicht das Wort zu brauchen, das seine Mutter immer bei plötzlichem Schrecken ausgesprochen habe; dagegen dürfte er fluchen und teufeln wie ein Galgendieb.

Bald saß der Jülicher auf dem Bock. „In Teufels Namen”, sprach der junge Mann, als er die Hörner des zottigen Tieres sicher gefaßt hatte. Da fuhr der Bock behende mit seinem Reiter empor; aus den schwarzen Zottelhaaren sprühten helle Funken hervor. Ein langer Feuerstreifen bezeichnete den Zug, den der Bock mit dem Reiter am Himmel machte. Leute von Jena sahen die nächtliche Erscheinung und glaubten, es zeige ein feuriger Drache sich am dunklen Himmel. So gingen dem Reiter die Stunden wie Sekunden dahin.

Auf einmal ging es in jähem Ritt der Tiefe zu. Da erschrak der müde Mann, der abgehetzt war von dem unheimlichen Teufelsritt, und das Wort „Jesus” entfuhr seinen bebenden Lippen. Sogleich stürzte er kopfüber in einen Busch hinein; sein Bein war gebrochen, und der Bock war fort. Am Morgen fand ein braver Bauer den Verwundeten und erklärte ihm, daß er im Jülicher Walde sich befinde. Da bat der Soldat der Mann möge ihn doch nach Jülich führen, wo seine Eltern wohnten, nach denen er seit Jahren sich gesehnt. Der gute Bauer brachte den Verwundeten nach Jülich, und hier wurde er Zeuge eines freudigen Wiedersehens.

Quelle: Nach P.J. Fischbach: „Der Deserteur aus Spandau„, 5. 76-79, Gedichtauswahl, M. Gladbach 1871.; alsdorf-online.de