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Das Märchen von den dreizehn Ludki

  Kalkwitz

Es war einmal eine arme Wittwe, die hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Eines Tages gingen die Kinder in den Wald, um Beeren zu lesen, aber als es Abend war, verirrten sie sich, so dass sie sich nicht mehr nach Hause fanden. Da sprach das Mädchen zu dem Knaben: „Klettere auf einen Baum und siehe, ob Du irgendwo ein Licht erblickst.“ Da kletterte der Knabe auf einen Baum und sagte: „In der Ferne ist ein Licht, aber das ist sehr weit; komm’ auch auf den Baum, wir wollen hier oben übernachten. Morgen früh wollen wir dorthin gehen, wo ich das Licht sehe, dort müssen Menschen wohnen.“ Den andern Tag gingen die Kinder dorthin, wo des Abends der Lichtschimmer gewesen war; endlich kamen sie an ein kleines Häuschen. Sie machten die Thür auf und traten ein. Da fanden sie eine kleine Küche; auf dem Heerde brannte das Feuer noch ein wenig. Darauf gingen sie in die Stube; dort fanden sie einen langen Tisch, worauf dreizehn Tellerchen und dreizehn kleine Becher standen, auch waren dreizehn kleine Betten dort. Die Kinder besahen sich das Alles, es war Alles sehr zierlich und klein und sie hatten ihre Freude daran. Da sprach das Mädchen zu seinem Bruder: „Gehe Du in den Hof und haue Holz, ich werde unterdessen die Betten machen, die Stube auskehren und Mittagbrod kochen.“ Und sie thaten also.

Gegen Mittag hörten die Kinder auf einmal viele Stimmen; sie versteckten sich aus Furcht davor unter dem Heerde. Da traten auf einmal dreizehn Ludki zur Thür herein; einer aber war darunter, der war grösser als die Uebrigen, das war ihr Oberster. Als die Ludki die Arbeit der Kinder sahen, sprachen sie: „Wer hat uns unsere Betten gemacht, wer hat uns unsern Tisch gedeckt, unsere Stube gekehrt und unser Mittagsessen gekocht?“ Darauf suchten sie so lange, bis sie die Kinder fanden. Der Oberste der Ludki sagte zu ihnen: „Fürchtet Euch nicht, Kinder, kommt vor und erzählt, wie Ihr hierher gekommen seid.“ Die Kinder erzählten Alles so, wie es sich zugetragen hatte, worauf alle Ludki sagten: „Bleibt doch bei uns, das Mädchen soll uns unser Hauswesen besorgen.“ Die Kinder waren damit einverstanden. Die Ludki gingen tagtäglich in ein Bergwerk, während die Kinder zu Hause Alles besorgten. Es gefiel ihnen recht gut in dem Hause der Ludki. Schon waren sie etliche Wochen dort, als eines Tages eine Kutsche vor dem Häuschen hielt; ein fremder Herr stieg heraus. Der sprach zu dem Mädchen: „Komm mit in die Stadt, Du sollst dort Dein Glück machen.“ Aber das Mädchen sagte: „Nein, ich komme nicht mit.“ Da wurde der Mann böse, nahm eine Nadel und stach sie dem Mädchen in den Kopf, worauf dasselbe todt umfiel. Mittags kamen die Ludki nach Hause und fanden das Mädchen todt auf der Erde liegen. Da wandten sie alle erdenkliche Mühe an, sie in das Leben zurück zu rufen, aber das Mädchen regte sich nicht, es war todt. Darauf wollten sie das Mädchen begraben. Sie hatten im Hause verschiedene thönerne Gefässe, in welchen sie das Mädchen bestatten wollten, aber diese waren alle zu klein; deshalb zimmerten sie einen Sarg. Während dieser Arbeit zogen sechs von den Ludkis das Mädchen an; einer wollte ihm die goldigen Haare auskämmen, da stiess er mit dem Kamme an die grosse Nadel, dass sie heraussprang. Sogleich schlug das Mädchen die Augen auf. Jetzt war die Freude gross. Der Oberste der Ludki sprach: „Ihr dürft Niemand, mag kommen, wer da will, zu Euch einlassen, wenn wir im Bergwerk sind.“ Das versprachen auch die Kinder.

Nach ein paar Tagen aber, als die Ludki wieder in ihr Bergwerk gegangen waren, kam eine alte Frau und klopfte an das Fenster; sie bat die Kinder, dass sie aufmachen möchten, sie hätte Aepfel zu verkaufen. Aber das Mädchen sprach: „Nein, wir machen nicht auf, wir brauchen nichts.“ Die Frau ging jedoch nicht fort, sondern sprach: „Wenn Du nichts kaufen willst, so will ich Dir einen schönen Apfel schenken, mache nur das Fenster auf.“ Da machte das Mädchen das Fenster auf, die Frau nahm einen schönen Apfel und sprach: „Beiss ab.“ Das Mädchen biss ab; sogleich fiel es todt nieder. Darauf weinte ihr Bruder sehr und sprach: „Ach, wenn doch die Ludki erst wieder zu Hause wären.“ Es dauerte auch nicht lange, so kamen dieselben nach Hause und fanden das Mädchen wiederum todt. Darauf fragten sie den Knaben, wer dagewesen wäre und was geschehen sei. Als sie Alles erfahren hatten, brach der Oberste dem Mädchen den Mund auf; siehe, das Stück vom Apfel war noch darin. Das nahm er heraus; sogleich wurde das Mädchen wieder lebendig.

Die Ludki hielten nun einen Rath und bestimmten, es sollten immer sechs von ihnen zu Hause bleiben, wenn die Uebrigen nach dem Bergwerk gingen, dann könnte ja dem Mädchen nichts Böses mehr zustossen. Das geschah. So lebten sie lange Zeit glücklich mit einander. Eines Tages fragte der Oberste der Ludki das Mädchen, ob dasselbe ihn zum Mann haben wollte; das Mädchen sagte „Ja.“ Da sprach ihr Bruder: „Wir wollen doch unsere Mutter auch herholen und dann Hochzeit machen.“ Alle waren damit einverstanden.

Nun machten sich die beiden Kinder auf; die Ludki gingen mit ihnen durch den Wald, am Rande des Waldes aber blieben sie zurück und sprachen zu den Kindern: „Holt Eure Mutter jetzt hierher, wir werden hier so lange warten, bis Ihr wiederkommt.“ Den andern Tag kamen die Kinder zu ihrer Mutter, welche geglaubt hatte, sie wären gestorben; darum war ihre Freude gross, dass sie noch lebten. Die Kinder erzählten, wie es ihnen ergangen sei; die Mutter war damit einverstanden, dass ihre Tochter den Obersten der Ludki heirathe.

Darauf gingen alle drei bis an den Wald, wo die Ludki gewartet hatten, dann eilten Alle zusammen voller Freuden nach dem kleinen Hause. Am dritten Tage war die Hochzeit, die Vögel im Walde sangen dazu ihre Lieder. Fortan lebten sie glücklich miteinander. Am allermeisten aber freute sich die alte Mutter, dass sie jetzt so gute Tage habe, und dass ihre Tochter die Frau eines so reichen Fürsten geworden sei.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880