Krabat-Sage

Der Sagenkreis vom Hexenmeister Krabat, dem wendischen Faust, ist den slawischen Bewohnern beider Lausitzen so bekannt und geläufig wie keine andere derartige Tradition. Man erzählt:

Krabats Kindheit und Lehrjahre

Im Dorfe Eutrich bei Königswartha lebte vor Jahrhunderten ein armer wendischer Viehhirte. Bei den überaus dürftigen Umständen, welche in seiner Hütte obwalteten, mußte sein Stiefsohn, der kleine Krabat, schon frühzeitig als Gänsehüter einigen Verdienst suchen, und als auch dann noch das Brot zu knapp war, zuweilen vor fremden Türen um Almosen ansprechen. Wochen-, ja monatelang trieb sich der übrigens gesunde und körperlich sehr schöne Junge bettelnd umher.

Auf einer solchen Wanderung kam er einstmals auch nach dem Dorfe Schwarz-Collm (bei Hoyerswerda). Dort hauste in der sog. Teufelsmühle ein Mann, der weit und breit als Schwarzkünstler verschrien und deshalb von allen Frommen ängstlich gemieden war.

Dem Müller gefiel der junge Krabat ausnehmend gut. er fragte ihn: „Hättest du wohl Lust, bei mir zu bleiben? Du würdest es gut haben, und ich könnte dich sehr viel lehren!“ Der Knabe willigte ein und blieb in der Teufelsmühle. Sein Lehrherr war in der Tat ein Hexenmeister und Lehrer der schwarzen Kunst. Er hatte stets zwölf Mühlenknappen bei sich, die in Wirklichkeit aber Studierende des bösen Handwerks waren.

Es mußten immer zwölf sein, so hielt es der Müller. Wenn das Lehr- und Prüfungsjahr endete, dann ging jedesmal einer derselben verloren. Ein großes Rad bezeichnete durch Umdrehung den Unglücklichen, der dem Verderben geweiht wurde. So waren auch jetzt gerade nur elf Schüler vorhanden, und Krabat sollte die enstandene Lücke ausfüllen. Der geistig sehr befähigte Knabe eignete sich rasch das ganze unheimliche Wissen seines Meisters an. Er mußte auch damals schon den üblichen Pakt mit dem Satan schließen.

Es war ihm nicht verborgen, in welcher Gefahr er schwebte, allein, einmal in des bösen Müllers Abhängigkeit, konnte er sich dessen Macht nicht offen entziehen. Unter schweren Bangen - denn das Lehrjahr ging bald zu Ende - sann er auf eine List zu seiner Befreiung. er erbat sich einige Tage Urlaub, um seinen Eltern einen Besuch abzustatten. Dies wurde ihm gewährt.

Die Freude über das Wiedersehen nach langer Trennung wich halb der tiefsten Traurigkeit, als die Mutter vernahm, in wessen Händen sich ihr Sohn befinde und was er erlerne. Der Junge weinte bitterlich, denn er wollte das Los eines Verlorenen nicht teilen. „Mutter, nur Ihr könnt mich retten. Wenn Ihr es wollt, so kommt nach Schwarz-Collm und verlangt von dem Müller, daß er mich herausgebe. Er wird dies nur unter der Bedingung bewilligen, daß Ihr mich herausfindet unter den elf Gefährten. Ich sag es Euch jetzt, woran Ihr mich erkennen müßt. Wir werden alle in schwarze Raben verwandelt in einer Kammer sitzen und uns mit den Schnäbeln scharren und kratzen nach Vogelart. Alle Kameraden werden den Hals nach der linken Seite gewendet haben, ich allein werde mich unter dem rechten Flügel zupfen. Da habt wohl acht, es ist das einzig mögliche Erkennungszeichen, das ich Euch zu geben vermag. Sagt dann fest: „Dieser ist mein Sohn“ so muß mich der Müller Euch überlassen, denn einer Mutter kann in solchem Falle kein Zauberer widerstehen.“

Welches Mutterherz hätte sich gegenüber so dringender Bitte nicht erweichen lassen! Krabat konnte mit der Zusage baldiger Rettung zu seinem Dienstherrn zurückkehren. Nach eingien Tagen machte sich die Frau nach Schwarz-Collm auf. Es erging ihr dort genau so, wie der Sohn vorausgesagt hatte. Auf das Ersuchen, ihr den letzteren mit heimzugeben, wurde sie in ein zienlich dunkles Zimmer geführt, in welchem zwölf Kohlraben auf einer Stange saßen. Der Müller bedeutete sie, nun ihren Sohn zu bezeichnen, was denn auch nach dem verabredeten Merkmale geschah. Sie hatte recht geraten.

Zähneknirschend, in schlecht verhaltenem Ingrimm berührte der Hexenmeister den einen Raben, welcher sich unter dem rechten Flügel gekratzt hatte, mit einem Stäbchen, worauf sich derselbe in den jungen Krabat verwandelte. Dieser elte mit der Mutter rasch von dannen, nicht ohne jedoch ein Zauberbuch, das wichtigste seines Meisters, mitzunehmen. Wegen dieser Entwendung verfolgte ihn der Müller mit bitterer Feindschaft.

Stier und Roß

Zu Hause fand Krabat noch immer Mangel und Armut. Es war kein Geld vorhanden, und trockene Kartoffeln wolltem dem seither verwähnten Jungen als Speise durchaus nicht munden. Er trat alsbald vor seinen Stiefvater hin mit den Worten: „Vater, so kann´s nicht fortgehen! Geld muß sein, und wenn Ihr keins habt, so werde ich es Euch verschaffen!“ „Nun, wie willst du das anfangen?“ fragte der Vater.

„Nächstens ist Viehmarkt in Wittichenau. Ich werde mich in einen fetten Ochsen verwandeln. Führt mich dann dorthin und verkauft mich, jedoch an keinen ehrlichen Beidermann, sondern an die gerieben Kamenzer Viehhändler! Verlangt nur einen recht hohen Preis; Ihr werdet ihn erhalten. Überlaßt aber, was man Euch auch bieten möge, auf keinen Fall dem Käufer auch den Kopfstrick! Ich würde sonst unglüklich sein, denn ich könnte die menschliche Gestalt nicht wieder erklangen und müßte unter den Beilhieben des Fleischers enden. Macht Euch auch mit dem Gelde schnell davon und nach Hause. Ich folge bald nach. Es wird bei uns dann nicht mehr solche Dürftigkeit herrschen.“ So sagte Krabat und ging, ohne auf die Einwendungen des Vaters zu achten, hinaus.

Bald hörte der Alte vor seiner Hütte das Brummen eines Stieres, welcher bei näherer Besichtigung als eins der stattlichsten Tiere seiner Rasse erkannt wurde. Der Tag des stark frequentierten Viehmarktes von Wittichenau erschien. Der Vater trieb den Ochsen dorthin. Kaum hatten die Händler das schmucke Tier erblickt, so stritten sie sich förmlich um seine Erwerbung. Es wurde für eine ansehnliche Summe losgeschlagen.

Der Vater nahm den Kopfstrick an sich, währen die Viehhändler den Ochsen in der Richtung nach Kamenz wegführten. Letztere machten unterwegs bei einer Schnek halt. Der Stier wurde in den Stall gezogen, und seine Besitzer zechten und jubelten über den nach aller Meinung sehr vorteilhaften Einkauf. Einer derselben gab der Stallmagd den Auftrag, dem Ochsen etwas Futter zu reichen.

Als dies geschah, sagte das Tier mit menschlicher Stimme: „Heu und Stroh mag ich nicht. Ein fetter Braten wäre mir lieber!“ Aufs äußerste erschrocken, eilte die Magd in die Gaststube und erzählte, der Ochse könne reden; er verschmähte Heu und Stroh und verlange Braten. Die Händler schüttelten lachend den Kopf. Nur einer ging, um nachzusehen, mit in den Stall. Kaum öffnete er aber die Tür desselben, so schwirrte eine Schwalbe heraus, deren Gestalt Krabat angenommen hatte. Der Ochse war verschwunden und der junge Hexenmeister kam noch früher als sein Vater in der elterlichen Behausung in Eutrich an.

Eine Zeit verstrich. Das erlöste Geld ging zur Neige. Da wurde ein ähnlicher Streich vorbereitet. Krabat sagte zu seinem Stiefvater: „Diesmal mögt Ihr mich als Pferd zu Markte führen. Verkauft aber nimmermehr die Halter und den Zaum mit. Beides nehmt wieder mit nach Hause, sonst bin ich unglücklich!“

Flugs verwandelt sich der Bursche in ein prächtiges junges Roß. Der Vater setzt sich darauf und reitet nach Wittichenau. Das schöne Pferd zieht die Aufmerksamkeit aller Kenner auf sich. Da tritt ein ältlicher Mann mit weißem Barte hinzu. Er stellt das höchste Angebot, und der Handel wird geschlossen. Nachdem er gezahlt, weigert er sich jedoch, Halter und Zaum herauszugeben. Alle Bemühungen des Vaters darum sind umsonst.

Der Weißbärtige schwingt sich auf das Roß und sprengt in rasendem Karriere von dannen. Es war der Lehrmeister Krabats, der Müller aus Schwarz-Collm. Derselbe hatte von der ersten Tat seines ehemaligen Schülers gehört und war nun zornerfüllt gekommen, um diesen für die Wegnahme des Zauberbuches zu züchtigen und womöglich ganz zu verderben.

Zunächst ließ er Krabat seine Macht fühlen. Er sprengte, das arme Tier mit Sporen und Gerte zu tollstem Laufe zwingend, durch Wald und Feld, über Hecken und Dorn. Nach langer Hetzjagd gelangt er zu einer Schmiede. Dort hält er an und ersucht den Schmied, auf die Hufe des jungen, noch nicht beschlagen gewesenen Pferdes vier glühende Eisen aufzulegen. Dem Schmied erscheint der Auftrag etwas sonderbar. Er ladet den Reiter ein, die Hufeisen selbst mit auszuwählen.

Während beide den Flur betreten, macht sich der Bube des Schmieds mit dem angebundenen, schweißtriefenden Rosse zu schaffen. Da lispelt ihm dasselbe ins Ohr: „Ziehe mir einmal den Zaum über das linke Ohr herunter!“ Der Junge ist dazu bereit. Kaum lüftet sich der Halfter, so verschwindet das Pferd, und Krabat erhebt sich in Gestalt einer Lerche singend in die Lüfte. Es dauert nicht lange, da kommt der alte Zauberer als Stößer ihm nachgeflogen. Als die Lerche gegenüber dem schnelleren Fluge des Raubvogels kein Entkommen sieht, stürzt sie sich herabschießend in einen offenen Brunnen und ist zum Fisch geworden.

Eine reine Jungfrau naht sich dem Born, um Wasser zu schöpfen, und o Wunder, der Fisch, den sie erblickt, wird zum goldenen Fingerreif und steckt an ihrer Hand. Freudig bewegt will sie heimeilen, da steht auch schon der weißbärtige Alte vor ihr und bittet sie, ihm den Ring zu verkaufen. Er gibt sich alle nur erdenkliche Mühe und setzt ihr einen fabelhaften Preis. Sie aber bleibt standhaft und behält das Kleinod.

Über die unbefleckte Maid hat der Böse keine Gewalt. Er bleibt jedoch in der Nähe ihres elterlichen Gehöfts. Das Mädchen kommt bald wieder heraus mit einer Schürze voll Gerste, welche es den Hühnern hinstreut. Dabei gleitet ihr der Ring vom Finger, verwandelt sich aber sofort auch in ein Gerstenkorn. Während die Hühner das Futter aufpicken, stolziert ein fremder Hahn herbei und will mit von den Körnern treffen. Im Nu verwandelt sich jetzt Krabat aus dem Gerstenkorn in einen Fuchs, welcher den Hahn blitzgeschwind erfaßt und zerreißt.

Das war das Ende seines Lehrmeisters, der hier bei der Ausübung der schwarzen Kunst vom Tode ereilt wurde.

Am königlichen Hofe zu Dresden

Nach seiner Heimat Eutrich zurückgekehrt, machte Krabat die erste Bekanntschaft des Landesherrn. Er hütete eben eine Herte Borstenvieh, als August der Starke im Wagen dort vorüberfuhr. Wie nach Kommando erhoben sich da auf einmal sämtliche Schweine auf die Hinterfüße und paradierten so, kerzengerade stehend, vor dem Könige.

Letzterer wurde aufmerksam auf den wendischen Eumatos und nahm ihn mit nach Dresden, woselbst man ihn zunächst in der Hofküche beschäftigte. Der Hofkoch war dem alles neugierig beschnüffelnden Lümmel nicht sonderlich gewogen. Als er einmal gerade Nudeln schnitt und Krabat dem schon Ärgerlichen ungelegen in die Quere kam, regnete es Ohrfeigen.

Dafür aber rächte sich der junge Wendensohn. Nachdem die Speisen aufgetragen worden waren, bemerkten die allerhöchsten Herrschaften mit Schaudern, daß sich die Nudeln in - lebende Regenwürmer verwandelt hatten und die gebratenen Hühnchen als muntere Frösche aus den Schüsseln heraushüpften. Der gebrandmarkte Koch fiel in höchste Ungnade. Er sollte entlassen werden. Weil er aber seine Unschuld hoch und heilig beteuerte, erriet der König alsbald den wahren Anstifter des Schabernacks. Zur Strafe dafür wurde Krabat aus der Hofküche entfernt.

Krabat als Soldat und Musketier

Er suchte wiederum das Elternhaus auf und reiste dort zu einem hübschen jungen Mann heran. Da erschienen nach der Sitte damaliger Zeit unversehens bei Nacht, die sächsischen Soldatenwerber. Sie umzingelten das Dörfchen und schleppten die tauglichen Burschen mit Gewalt hinweg zum Heeresdienste. Auch Krabat traf dieses Schicksal. Man reihte ihn in ein Dresdnisches Fußregiment ein.

Mittlerweile war der Türkenkrieg ausgebrochen, und wir finden Krabat als Musketier mitten in jenem Feldzuge. Dort geschah es, daß der König von den Türken gefangen genommen und in einem Karree scharf bewacht wurde. Die Generäle der Kaiserlichen und Sachsen standen tiefbewegt beieinander und beratschlagten, wie sie ihren Kriegsherrn befreien könnten. Da trat Krabat vor, meldete sich bei den Befehlshabern und sagte, ihre Verlegenheit wäre ihm bekannt. Niemand als er sei imstande, den Herrscher lebend zurückzubringen. nach einem ungläubigen Achselzucken ließ man ihn gewähren.

Er rief: „Gebt mir ein gesatteltes Pferd, aber schnell, denn es ist nur noch eine Stunde Zeit!“ Der Gaul wird gebracht. Krabat reitet erst eine Strecke geradeaus, dann schwingt er sich in die Lüfte, daß er schließlich nurn noch als kleiner Punkt zu sehn ist. In dem ziemlich weit entfernten Lager der Türken angelangt, blieb er allen außer dem Könige unsichtbar. Letzterer erkannte in dem Infanteristen im langschößigen Frack und mit langer Muskete sofort seinen Soldaten und ehemaligen Schützling. „Wo kommst Du her?“ fragt er. „Euch zu retten, Majestät! Schnell haltet Euch an meine Frackschöße und seid unbesorgt, was auch vorgehen möge!“

Der König entsprach dieser Aufforderung und fort ging es durch die Lüfte. Als die Türken den wertvollen Gefangenen verschwunden sahen, was nur mittels übernatürlicher Kraft hatte geschehen können, erinnerten sie sich, daß auch in ihrer Armee ein Schwarzkünstler diente. Dieser mußte sich ungesäumt zur Verfolgung des Flüchtigen aufmachen.

Nach einer Weile fragte Krabat, der sich nie umsah, den König, ob ihnen jemand nacheile. Die Antwort lautete: „Ja, es kommt ein großer, schwarzer Vogel uns nach, immer näher und näher.“ Da zauberte Krabat einen finsteren Nebel hinter sich und fragte darauf wiederum, ohne zurückzublicken, nach dem Verfolger. Der Vogel strich noch immer hinter ihnen her. Jetzt ließ Krabat eine unbeschreiblich hohe Mauer sich auftürmen. Aber auch diese bildete kein unüberwindliches Hindernis. Der Vogel setzte mit Leichtigkeit darüber hinweg.

„Ist er wieder da?“ - „Ja, er sit jetzt dicht hinterdrein.“ Da bat Krabat den König: „Reißt schnell einen goldenen Knopf von Eurem Waffenrocke los und gebt ihn mir!“ Der Knopf wurde in das Gewehr geladen, und Krabat schoß mit über die Schulter gelegtem Rohre, ohne zu zielen und sich umzublicken, nach rückwärts. Da war der Vogel verschwunden. Bei des Sterbenden wiederholtem Auffschrei, der durch die Lüfte gellte, zuckte Krabat zusammen und fing an zu weinen.

„Was betrübt Dich?“ fragte der König. „Majestät mögen wissen, daß ich soeben meinen besten Freund erschossen habe. An seinem Todesrufe habe ich ihn erkannt. Wir waren einst zu gleicher Zeit bei einem Lehrmeister. O, daß gerade ich den alten Kameraden mußte zum ewig Verlorenen machen. Denn das ist er nun, da er bei der Ausübung der Kunst geendet. Hätte ich´s geahnt, so wußte ich mir auch noch anders zu helfen!“ Unter solchen Klagen wurde der gespenstige Ritt fortgesetzt.

Krabat spioniert die Türken

Glücklich zu seinem Heere zurückgekehrt, verhieß der König seinem Retter fürstliche Dankbarkeit. Nach beendigtem Feldzuge wollte er die Schuld nach Gebühr abtragen. Zunächst aber machte er noch einmal Gebrauch von den Künsten Krabats. Er wünschte im Interesse eines glücklichen Kriegserfolges die geheimen Pläne der türkischen Heeresleitung zu erkunden. Dazu verhalf ihm der Hexenmeister. In zwei Fliegen verwandelt behorchten beide die Gespräche des Sultans in dessen Hauptquartier. Krabat hatte den König warnend gebeten, sich auf keinen silbernen Eßlöffel zu setzen.

Während Krabats Insektengestalt beständig am Rande der Schüssel des Sultans herumlief, versah es die königliche Fliege und berührte umherschwirrend auf einmal einen Löffel. Sofort fing ein unter dem Tische liegender großer Hund an zu knurren. Eiligst mußten die Lauscher, die in ihrer menschlichen Gestalt den Türken sichtbar wurden, entfliehen. Einem türkischen Soldaten, welcher den feindlich Uniformierten hindernd entgegentrat, warf Krabat einen eisernen Radreifen über den Kopf, der sich sogleich zu einer unlösbaren Halskrawatte zusammenzog. So entkamen sie.

Der Krieg war zu Ende. Heimgekehrt in seine Residenz, bot der dankbare König seinem Retter große Summen. Krabat aber schlug bescheidentlich alles aus. Erst als der Fürst in ihn drang, sich doch irgend eine Gnade auszubitten nach seinem Gefallen, äußerte er den Wunsch nach dem Besitz des Kammergutes Groß-Särchen bei Hoyerswerda. „Wenn du weiter nichts begehrst als die große Entenpfütze,“ sagte der König, „so mag dieselbe dein sein für immer!“

Krabat retten dem König erneut das Leben

Zwischen dem nunmehr zum Gutsherrn gewordenen Krabat und dem Könige entspann sich ein freundschaftliches Verhältnis. Ihm angetragene Stellungen im Staatsdienste nahm der einstige Musketier nicht an; doch blieb er lebensland privater Ratgeber und Beistand seines gnädigen Landesherrn. Als solcher besaß er die Erlaubnis, selbst unangemeldet, an der königlichen Tafel speisen zu dürfen. Davon machte er auch oft Gebrauch. Um 11 Uhr vormittags fuhr er mit seinem Geschirr in Groß-Särchen ab, und Punkt 12 Uhr war er im königlichen Schlosse zu Dresden.

Die tolle Fahrt ging über Kamenz und Königsbrück. Im Laufe der Zeit fand der Günstling, welcher für einflußreicher als der erste Minister galt, auch seine Neider. Unter denselben waren zwölf Würdenträger, die sich besonders zurückgesetzt fühlten. Ihr Groll richtete sich jedoch weniger gegen die harmlose Person des Bevorzugten, als gegen den König selber. Sie verschworen sich, den letzteren zu vergiften und zwar mittels einer Tasse Tee. Man wollte dann das Gerücht verbreiten, Majestät sei an einem Schlagflusse plötzlich verschieden.

Krabat erkannte daheim in Groß-Särchen die hochverräterischen Anschläge, auch die Persönlichkeiten der Verschworenen und die verabredete Zeit des Verbrechens. Das alles verriet ihm sein Zauberspiegel aus Erz. Höchste Eile tat not, denn am nämlichen Abende sollte der Königsmord geschehen. Schnell ließ er anspannen. „Diesmal werde ich selber fahren, “ bedeutete er den Kutscher, „setze Dich da hinein in den Wagen. In einer halben Stunde muß ich beim Könige sein.“ Nun ging es pfeilgeschwind hinaus in die dunkle Herbstnacht.

Vor dem Dorfe verstummte plötzlich das Rasseln der Räder. Lautlos erhoben sich Rosse und Wagen in die Lüfte. Untätig auf den ungewohnten weichen Polstern sitzend, schlief der Kutscher ein und erwachte erst, als die Fahrt mit einem gewaltigen Ruck unterbrochen wurde. Er rief: „Wir sind gewiß auf einen großen Rainstein aufgefahren!“ und wollte aussteigen, um das Geschirr wieder flott zu machen. Krabat aber gebot ihm, sitzen zu bleiben. Er befreite den Wagen, welcher an der Kamenzer Kirchturmspitze hängen geblieben war, selber von dem Hemmnis. Noch vor dem entscheidenden Augenblicke trifft Krabat am Dresdener Hofe ein.

Das Souper hat bereits begonnen. Schon hält der König die Tasse mit dem Gifttranke in der Hand. Da stürzt Krabat herein und bittet Majestät, nicht zu trinken; der Mundschenk möge zuvor von dem Tee genießen. Der König widerstrebt diesem Vorschlage nicht. Seinem Befehle muß der Mundschenk gehorchen. Er stürzt alsbald entseelt zu Boden. Die Bösewichter werden entlarvt und sämtlich zum Tode verurteilt. Zur Hinrichtung berief Krabat den ihm bekannten alten Scharfrichter Bundermann aus Lissahora bei Reschwitz nach Dresden. Derselbe stand bei der elften Enthauptung bis über die Knöchel im Blute.

Auf diese Weise wurde Krabat zum zweiten Male Lebensretter des Königs.

Weitere wunderliche Geschichten

Noch viele wundersame Taten erzählt sich das Wendenvolk von Krabat. Dieser kam oft auf die Pfarre in Wittichenau zum Mittagsessen. Vor dem Mahle aber begann der alte Pfarrer: „Nun Krabat, jetzt zeige uns etwas!“ Darauf verlagte Krabat ein Mätzchen Hafer und schüttete ihn, etwas aus dem siebenten Buche Mosis lesend, in eine Pfütze, woselbst auf der Stelle so viel Soldaten heraussprangen, als er Haferkörner dorthin geschüttet hatte. Sie sangen und lärmten, bis Krabat einen andern Vers aus demselben Buche las. Die Soldaten eilten jetzt wieder in die Pfütze, und sogleich waren hier so viele Ernten wie vorher Soldaten.

Das hatte sich Krabats Kutscher abgeguckt und versuchte, nachdem er Krabaten das Buch entwendet hatte, dieselben Verse zu lesen und Hafer in den Kacheltopf zu schütten. Sogleich kam eine sehr große Menge Soldaten aus dem Ofen. Sie verlangten nun etwas Arbeit, sonst wollten sie ihn totschlagen. Zuerst befahl er ihnen, daß sie Mist aus dem Hofe herausbrächten. Damit waren sie schnell fertig. „Was weiter?“ begannen sie zu tragen. „Tragt dort den Sand auf einen Haufen zusammen!“ Auch dieses taten sie, und noch ist nahe bei Särchen der Hügel, welchen sie aufgeworfen haben.

Als sie dort Krabat, der gerade auf dem Felde war, erblickte, begann er sehr auf den Diener zu schelten und ging nach Hause. Wie er in die Stube kam, schlugen sie schon den Diener, weil er nicht wußte, was er ihnen als Arbeit gäbe. Krabat befreite ihn, doch schalt er den neugierigen Menschen derb aus und sagte ihm, daß es nicht mehr in seiner Macht gelegen hätte, der Soldaten Herr zu werden und sie wieder in den Kacheltopf zurückzutreiben, wenn er um einen Augenblick später gekommen wäre.

Als einstmals der Wittichenauer Amtsrichter mit seiner Famlie zu Besuche bei ihm weilte, zeigte Krabat folgendes Zauberstücklein: Von seinem Diener ließ er sich zwei Tauben einfangen, eine weiße und eine schwarze. Mit einem Ruck seiner Finger drehte er den Tieren den Kopf ab. Von Mitleid ergriffen, suchte der Zauberer die armen Tierchen wieder zum Leben zu erwecken. Mit seinemn Feenhänden gelang es, die Köpfe wieder auf die Rümpfe der Tauben zu bringen, aber in der Zerstreutheit setzte er der weißen Taube den schwarzen, der schwarzen Taube den weißen Kopf auf. Nach diesem erhoben sie sich vom Tische und flogen wieder in der Stube umher. Zum Andenken konnte sich der Amtsrichter die Tauben mit nach Hause nehmen.

Einstmals hat der Herr von Groß-Särchen den dort vorbeifließenden Bach, um ihm eine andere Richtung zu geben, umgeackert. Da er aber den davorgespannten polnischen Ochsen nicht gehörig bändigen konnte, so hat der Bach einen ganz krummen Lauf bekommen, den er noch heute hat.

Ein andermal kehrte Krabat nachmittags mit mehreren Bekannten in Wittichenau in einem Gasthofe am Markte ein und verlangte zu speisen. Der Wirt bedauerte lebhaft, nichts weiter als Butterbrot mit Bauerkäse oder Wurst vorsetzen zu können. Krabat war damit nicht zufrieden und fragte den Wirt, ob er es ihm erlaubte, für sich und seine Gäste, einschließend die hier weilenden Wittichenauer Bürger, gegen Entschädigung selbst Speisen herbeizuschaffen. Der Wirt hatte dagegen nichts einzuwenden.

Da begann sich plötzlich draußen ein mächtiger Sturm zu erheben, daß die Gaste glaubten, das Haus müsse einfallen. In der Stube da gegen herrschte eine Finsterniß, daß keiner der Anwesenden die Hand vor den Augen sehen konnte. Die Bürger bekammen Angst und wünschten sich weit weg von hier. Bald legte sich jedoch der Sturm, und mit ihm verschwand auch die Finsternis in der Stube. Die Anwesenden sahen mit Staunen vor sich auf den Tischen allerlei köstlich duftenden Speisen, die verschiedensten Arten von Braten, gesottene Fische, Zuspeisen, die sie nicht einmal mit dem Namen nach kannten, ferner vor jedem mhere Flaschen fremdländischen Weines. Jeder Gast konnte davon nehmen, so viel ihm beliebte. Alle Teilnehmer taten sich gütlich und konnten nicht genug das vorzügliche Mahl, sowie den köstlichen Wein loben.

Zwei Wittichenauer Bürger, denen jedenfalls der Wein etwas in den Kopf gestiegen war, gerieten wegen einer Kleinigkeit in Wortwechsel, der schließlich in Tätlichkeiten ausartete. Krabat, den dies verdroß, sagte: „Zur Strafe dürft ihr euch für die Störung unserer friedlichen Gesellschaft nicht von der Stelle rühren, sondern müßt stehen bleiben, bis wir auseinandergehen.“ Und wirklich blieben die beiden Männer wie bezaubert so lange in taufender Stellung, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Nach diesem deutete Krabat durchs Fenster und sprach zu den Festteilnehmern: „Schaut da mal hinaus, was unser Wirt für einen starken Hahn besitzt. Alles stuante, denn letzterer zog über den Marktplatz einen Balken. Zwei Mägde, welche in den Zauber nicht mit eingeschlossen waren, traten darauf in die Stube und sprachen ihre Verwunderung darüber aus, daß alles den Hahn, der nur einen Strohhalm über den Platz zöge, anstaunte. Krabat spielte diesen für ihr Plauern einen argen Schabernack, so daß beide beschämt hinausgingen.

Vom Ende Krabats

Es sei nun nur noch Krabats Ende berichtet, das harmonisch austönt.

Krabat wurde ein Freund und Wohltäter seines Ortes und der ganzen Umgegend. er wendete im Alter seine Kunst noch zur Hebung des Hauptnahrungszweiges seiner Untertanen an, besserte deren ertragsarmen Ackerboden, beseitigte über Nacht Fieber erzeugende Sümpfe, bewässerte verdorrende Saaten und verwandelte selbst einen herabstürzenden Hagel, die die Nachbarschaft arg verheerte, über den Gemarkungen seines Dorfes zu unschädlich herniederschwebenden Flaumfedern.

Rastlos wirkte er so für seine unbemittelten Schutzbefohlenen, denen er schließlich, weil er ohne Nachkommen blieb, sein ganzes erbliches Besitztum, in vierzig Parzellen zerteilt, testamentarisch überwies. Nur die begüterten Bauern gingen dabei leer aus, und die Teiche des Gutes Groß-Särchen, welche sich der Fiskus vorbehalten hatte, fielen an letzteren zurück. Kurz vor seinem Tode ließ Krabat sein Zauberbuch in den großen Teich werfen. Der Diener führte den Auftrag anfänglich nicht aus.

Er wollte die geheimnisvolle Schrift für sich behalten. Bei seiner Rückkunft fragte ihn Krabat: „Hast Du das Buch hineingeworfen?“ Er antwortete: „Ja, Herr, es liegt drin.“ Krabat blickte ihn durchbohrend scharf an: „Was hat das Wasser gesagt?“ Da wußter der Diener keine Ausflucht. Er mußte nochmals hingehen. Diesmal versenkte er das Buch wirklich beim Ständer in die dunkle Flut, welche dabei zischte, brodelte und unter Donnergetöse mannshoch emporstieg; die Sträucher ringsherum aber genannen zu brennen.

Quelle: Alfred Meiche, Sagenbuch des Königreichs Sachsen, Leipzig 1903, S. 538-550.