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Die Sage von der Reuthener Kirche

  Reuthen

In Reuthen befinden sich die Mauerreste eines alten Baues. Man erzählt, dass sie von folgendem Vorfall herrühren: Die Bewohner von Reuthen wollten eine Kirche bauen. Sie hatten den Bau schon ziemlich weit gefördert, als einstmals ein Treiber mit einer Heerde von Schweinen zur Schänke kam. Er fand dort kein Unterkommen mehr, so sehr er auch darum bat. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als in den Mauern der alten Kirche mit seiner Heerde Unterkunft zu suchen.

Nachdem der Treiber mit seiner Heerde am folgenden Tage abgezogen war, wurde an der Kirche weiter gebaut, allein am folgenden Morgen fand man, dass Alles verwüstet war, was man am Tage zuvor gebaut hatte. Das wiederholte sich fortan jeden Tag. Da stellten die Reuthener des Nachts Wächter auf. Diese sahen um Mitternacht einen Wagen angefahren kommen, welchen zwei schwarze Stiere zogen. Sie bemerkten, dass Jemand abstieg, das frisch Gemauerte einriss und mit den Steinen den Wagen belud. Dann fuhr er ab. Alles geschah mit einer solchen Schnelligkeit, dass die Wächter nicht zu sehen vermochten, wer oder was für ein Wesen es war, welches die Mauern abriss. Es blieb den Bewohnern von Reuthen nichts anderes übrig, als dass sie die vorhandenen Mauern unvollendet stehen liessen, die Kirche aber an einem andern Fleck aufbauten.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880