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IV. Koboldsage

Eines Tages fuhr ein Bauer, welcher mit seinem Gespann in Zerbst gewesen war, seinem Dorfe zu. Da sah er mitten auf dem Wege einen Sack liegen, welcher so aussah, als ob er mit Korn gefüllt wäre. Das schien dem Bauer ein guter Fund zu sein. Schnell stieg er ab und lud den Sack auf seinen Wagen. Der Sack war schwer, aber der Bauer liess sich die Mühe nicht verdriessen; so billig war er noch nie zu einem Sack voll Getreide gekommen, denn das solches darin war, fühlte er bei seiner Arbeit ganz deutlich.

Als er mit seinem Funde glücklich zu Hause angekommen war, spannte er erst die Pferde aus und brachte sie in den Stall, dann lud er den Sack mit Getreide ab und stellte ihn unter der Treppe auf dem Flur hin. Dann wollte er in die Stube gehen. In demselben Augenblicke sprang ihm etwas auf den Rücken, fasste ihn in den Nacken und schüttelte den Bauer nur so. Derselbe griff voll Schrecken darnach. Da sprang es wieder vom Rücken herab. Der Bauer blickte sich um und sah gerade noch, wie ein dreibeiniger Hase unter die Treppe schlüpfte. Nun merkte er, dass er in dem gefundenen Sack sich den Kobold in das Haus geholt habe. Aber der Bauer mochte von einem Kobold nichts wissen. Deshalb beschloss er, sich desselben zu entledigen. Er ging also nicht in die Stube, sondern nach dem Raum, wo er unter der Treppe den Sack hingesetzt hatte. Derselbe stand auch ruhig da, sowie er dort abgeladen war, der dreibeinige Hase war aber verschwunden.

Der Bauer lud den Sack wieder auf den Wagen, zog die Pferde aus dem Stall, spannte an, und fuhr nach der Stelle hin, wo er den Sack gefunden hatte. Er lud ihn dort wieder ab, kehrte dann mit dem Gefährt um und kam mit dem leeren Wagen glücklich nach Hause. Fortan hat er von dem Kobold nie mehr etwas gesehen.

Quelle: Autor: Anna Veckenstedt, „Sagen aus der Provinz Sachsen“, Herausgeber: Edmund Veckenstedt, 1888, Verlag Alfred Dörffel, Leipzig