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Eine Hexengeschichte

  Sassleben

Zu einem Bauer in Saßleben sind einmal, als er allein zu Hause war, aus Coswig drei Hexen gekommen. Es war gerade der erste Mai um die Mittagszeit. Die Hexen fragten den Alten zuerst nach Speck, dann nach Geld.

Der Alte sagte, er habe weder Geld noch Speck. Da fragten ihn die Hexen, ob er Brod habe, worauf er sagte: „Ja, das kann ich Euch geben.“ Darauf stand er auf, um Brod zu holen. Allein kaum war er in der Mitte der Stube, so gingen die Hexen dreimal um ihn herum und bezauberten ihn, so dass er weder sprechen noch sonst etwas vornehmen konnte: er musste auf demselben Fleck still stehen bleiben. Darauf trieben die Hexen allerhand Unfug mit ihm; dann nahmen sie von Allem, was im Hause war, so viel ihnen beliebte.

Als sie fortgehen wollten, sahen sie unter dem Kamin eine Gans brüten. Da rissen sie die Gans vom Nest, besprachen die Eier und setzten den alten Bauer darauf. Dann machten sie die Stube und die Hausthüre fest zu, legten einen Besen vor die Thürschwelle und flogen nach Coswig.

Als am Abend die Frau und die Dienstboten heimkamen, merkten sie, dass im Hause nicht Alles richtig sei, denn es war Alles im Hause todtenstill. Schnell eilte die Bäuerin in die Stube. Da sah die Frau ihren Mann auf dem Neste sitzen und fragte ihn: „Was machst Du denn da?“ In dem Augenblick wich der Bann von ihrem Mann, denn die Frau hatte ihn angeredet. Jetzt konnte er wieder aufstehen und sprechen. Er erzählte seiner Frau, was sich zugetragen hatte. Merkwürdiger Weise war von den Eiern, auf welchen er gesessen hatte, keines zerschlagen.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880