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Die seltsame Bauerfrau aus Kittlitz

  Kittlitz

Zu einer Bauerfrau in Kittlitz kamen jeden Abend zwei Hasen aus dem Walde. Die Hasen setzten sich immer auf die Schwelle des Kuhstalles, wenn die Frau ihre Kühe melkte. Hatte die Frau fertig gemolken, so gab sie den beiden Hasen in einem Schüsselchen, welches für sie im Kuhstall stand, etwas Milch. Sobald die Hasen die Milch getrunken hatten, rannten sie eilig fort.

Das fiel den Leuten auf. Sie hatten auch gemerkt, dass die Frau an bestimmten Tagen in den Wald ging und von dort erst beim Aufgang des Mondes nach Hause zurückkehrte. Da beschlossen zwei Frauen, der Bäuerin nachzugehen, wenn sie wieder in den Wald ginge. Das geschah auch. Da erblickten sie denn seltsame Dinge. Unter einem grossen Eschenbaume im Walde sass beim hellen Mondenschein die Bauerfrau, ihr zur Seite die beiden Hasen, ein Eichkätzchen, zwei kohlenschwarze, glänzende Raben, ein Rothkehlchen und ein grosser, grauer Wolfshund. Alle schauten zur Baumkrone hinauf.

Von Zeit zu Zeit lief das Eichkätzchen den Baum hinan und sprang auf den Aesten herum; dazu machte es „Ting, Ting“. Die Frau und die Thiere, alle redeten eine gar seltsame Sprache. Nur das konnten die beiden Frauen verstehen, dass die Raben sagten: „Die Kreuze sind verschwunden, werden auch die Glocken schwinden.“ Dann standen sie auf, neigten sich vor dem Baum, strichen denselben mit der linken Hand und dann guckten sie eine ganze Weile in den Mond. Darauf gingen sie auseinander. Die Frauen erzählten, die Bauerfrau habe unter der Esche so glänzend ausgesehen, wie sonst nie in ihrem Leben.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880