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Die Ruttersdorfer Schuhe

  S. Sachsengrün 1862 S. 11.

Nicht alle Zeiten waren so wie die jetzigen, wo der Bauer fast ein Edelmann ist und es ihm oft gleich thut an Essen und Trinken, an Reiten und Spielen, an Reichthum und Glanz, es gab auch Jahre und lange Jahre, in denen der Bauer unterducken mußte vor dem gestrengen Ritter, wo er wachte, wenn der Ritter schlief, wo er hungerte und fror, wenn der Ritter am warmen Kamine schwelgte. So ist es auch vor Zeiten in dem zur Ephorie Roda gehörigen Dorfe Ruttersdorf gewesen, da waren die Bauern so herunter, daß sie sich nicht mehr sehen lassen konnten, ja sie hatten allesamt keine Schuhe mehr und schämten sich, daß sie baarfüßig zum Tische des Herrn gehen sollten. Da gingen sie lieber eine Zeit lang gar nicht.

Als aber ihre Seelen hungerten nach der himmlischen Speise, traten sie endlich zusammen, gaben ihr Scherflein in eine Hand, gewöhnlich einen Heller, keines aber über einen Pfennig und ließen sich ein Paar Gemeindeschuhe machen, die in der Kirche verwahrt wurden. Dann gingen sie nach einander, jeden Sonntag ein Anderer, zum heiligen Tische Gottes, und Jeder zog die Abendmahlsschuhe an, damit der Herr nicht zornig werde, wenn einer in bloßen Füßen ihm nahe! Jetzt ist es anders, denn einen Kirchenrock, lang und von gutem Tuche, hat Jeder und Gemeindeschuhe brauchen sie gar nicht mehr.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 377