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Das Jüdel

  Mündlich. 
  Einzelnes in d. Gestriegelten Rockenphilosophie. 5te A. Chemnitz 1759. 8. S. 72, 781, 941, 995. 
  Grimm, Deutsche Mythol. 1. A. Anh. S. XXXVII. 
  Simrock, Deutsche Mythol. S. 482. (VI. A. S. 437.)

Man kennt im ganzen Erzgebirge ein Kindergespenst, das sogenannte Jüdel oder Hebräerchen (richtiger: das Gütel von „gut“) und glaubt, daß, wenn die kleinen Wochenkinder während des Schlafes die Augen halb aufthun, die Augäpfel in die Höhe wenden, als wollten sie etwas sehen, dabei zu lächeln scheinen und dann wieder fortschlafen, manchmal auch zu weinen anfangen, daß das Jüdel mit ihnen spiele. Damit nun aber die Kinder von demselben nicht ferner beunruhigt werden, so kauft man ein kleines neues Töpfchen sammt einem Quirlchen, und zwar so theuer, als man es bietet, ohne zu handeln, dahinein wird etwas von dem Bade des Kindes gegossen, und es dann auf den Ofen gestellt, und man sagt, das Jüdel spiele damit und plätschere das Wasser so lange heraus, bis nichts mehr im Töpfchen sei.

Andere blasen Eier aus den Schalen in des Kindes Brei und der Mutter Suppe und hängen solche hohle Eierschalen samt etlichen Kartenblättern und anderen leichten Sachen mehr mit Zwirn an die Wiege des Kindes, daß es sein frei schwebe. Wenn nun die Thüre aufgemacht wird, oder es geht oder bewegt sich Jemand in der Stube, also, daß die am Faden schwebenden Sachen sich in der Luft bewegen, da sagen die Weiber, man solle nur Acht geben, wie das Jüdel mit den Sachen an der Wiege spiele.

Wenn zuweilen die kleinen Kinder rothe Flecke haben, da sagt man, das Jüdel habe sie verbrannt; dann soll man das Ofenloch mit einem Speckschwärtlein schmieren. Das Jüdel spielt aber auch des Nachts mit den Kühen, dann werden sie unruhig und brummen, macht man aber Licht an, so sieht man nichts. Ebenso geht es in die Pferdeställe und fängt an die Pferde des Nachts zu striegeln, dann werden dieselben wild, beißen und schlagen um sich, ohne daß sie sich des Gespenstes, welches auf ihnen hockt, entledigen können.

Um das Jüdel als Hausgeist zu unterhalten, muß man ihm Bogen und Pfeile und Spielsachen in den Keller und in die Scheune legen, damit es damit spiele und Glück in’s Haus bringe. Wenn aber die Wöchnerin vor demselben ganz sicher sein soll, so muß ein Strohhalm aus ihrem Bette an jede Thüre gelegt werden, dann kann weder das Jüdel noch ein anderes Gespenst herein. (S. a. oben Nr. 532 S. 476.)

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 500