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Das Goldschiffchen in der Kirche zu Ebersdorf

  Poetisch beh. v. Ziehnert Bd. II. S. 81 sq.

Unter den Reliquien der Kirche zu Ebersdorf1), zu denen bekanntlich auch das Hufeisen des Ritters von Harras gehört (s. oben sagen:graessesachsen327|Nr. 327), befindet sich ein Schiffchen von Holz, welches aus dem 14. Jahrhundert stammt und bei folgender Gelegenheit hier aufgehangen worden ist.

Ein gewisser Junker Wolf von Lichtenwalde (?) war in’s gelobte Land gezogen, um dort gegen die Saracenen zu kämpfen, er hatte alle Gefahren und Anstrengungen des Krieges glücklich überwunden und kehrte jetzt mit Schätzen beladen nach seinem Vaterlande zurück, wo ihn eine liebende Braut erwartete. Siehe, da begab es sich, daß das Schiff, auf dem er nach Venedig segelte, von einem furchtbaren Sturm überfallen ward, keine Geschicklichkeit des seekundigen Capitains noch die übermenschlichen Anstrengungen der Mannschaft vermochten dem Andrange der wüthenden Elemente zu widerstehen und Jeder sah dem Untergang des Schiffes in nächster Zeit entgegen.

Da sank der sonst so muthige Kreuzfahrer in wilder Verzweiflung in die Knie und gelobte der h. Jungfrau zu Ebersdorf, daß, wo sie ihn aus dieser Todesnoth befreien und glücklich in sein Ahnenschloß zurückkehren lassen werde, er ihr ein Schiffchen ganz mit gutem Gold gefüllt als Opfer darbringen wolle, und solle er auch sein ganzes Eigenthum dabei aufwenden. Und siehe, fast augenblicklich legte sich der Sturm, die Wogen glätteten sich und ein günstiger Wind trieb das Schiff schnell und glücklich in den sichern Hafen.

Der Ritter vergaß aber nach seiner glücklichen Heimkehr sein Gelübde nicht, er ließ von einem geschickten Künstler ein Schiffchen anfertigen, füllte es mit Gold an und hing es zum ewigen Andenken in der Kirche zu Ebersdorf am Altare der h. Jungfrau auf. Zwar hat die Lichtenwalder Gutsherrschaft nach der Reformation sowohl dieses Gold als alle andern Kostbarkeiten und Nutzungen der Kirche an sich genommen, nachdem sie die Verpflichtung eingegangen war, dieselbe in allen Baulichkeiten zu unterhalten, ja sollte sie einmal abbrennen, ohne Zuthun der Gemeinde und des Kirchenärars aus ihren Mitteln wieder aufzubauen, allein das Schiffchen ist heute noch zu sehen und erinnert uns an jene Zeiten, wo man noch in frommer Einfalt an unmittelbare göttliche Einwirkung auf das menschliche Schicksal glaubte.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 498


1)
Hier wird auch das Glas gezeigt, welches Luther dem Dr. Jonas schenkte und das die Inschrift trägt: „Dem lieben Dr. Jonas schenkt Dr. Luther ein schön Glas; Das lehrt sie alle beide fein, daß sie zerbrechliche Gläser sein.“ Das Glas ist aber unächt, denn das ächte soll sich in Nürnberg oder Halle befinden.