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Das Geschwistergrab in der Kirche zu Annaberg

  P. Jenisii In Annabergae deflagrationem Epist. XVI. Dresd. 1604. 4. p. 12 b. 
  Poetisch beh. v. Segnitz, Bd. I. S. 247 sq.

Am 27. April des Jahres 1604 wüthete zu Annaberg eine furchtbare Feuersbrunst, durch welche die Stadt bis auf 7 Häuser vernichtet ward. Auch viele Menschenleben gingen verloren, darunter auch ein Geschwisterpaar, Johann und Blandina Biener, Kinder eines früheren Senators der Stadt, welche in dem Hause wohnten, das dann später die Museumsgesellschaft inne hatte. Der Bruder hatte schon seit längerer Zeit an Wahnsinn gelitten, so daß er gefesselt werden mußte, die Schwester aber hatte bis auf diesen Tag stets seine treue Pflegerin gemacht.

Da brach das Feuer aus, und weil die Schwester den Bruder nicht von seinen Fesseln losmachen konnte – dieselben waren an der Wand festgemacht –, denselben aber auch nicht seinem Schicksale überlassen wollte, so entschloß sie sich, freiwillig mit ihm zu sterben. Das Feuer ergriff das Haus und das einstürzende Dach begrub die Geschwister in seinen Trümmern; als man aber nach einigen Tagen den Schutt wegräumte, fand man die halbverkohlten Leiber derselben in gegenseitiger Umarmung verkettet und trug sie so in die Annenkirche, wo sie am 13. Mai in einem und demselben Grabe, das man heute noch sehen kann, beigesetzt wurden.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 441