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Der Frau-Mutterstuhl zu Oberforchheim

  Poet. beh. v. Fr. v. Biedermann a. a. O. S. 24 sq.

Auf dem alten Schlosse Oberforchheim am Haselbache an der Straße von Freiberg nach Annaberg stand bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf dem Oberboden in einer Kammer ein alter Großvaterstuhl, den hieß man der Frau Mutter Stuhl, und auf diesem lag eine hölzerne Statue, die aber sehr stark vergoldet war und ein kleines Männchen vorstellte. Diese zwei Gegenstände kannte Jedermann im Schlosse und im Dorfe und Alle hatten eine gewisse heilige Scheu vor denselben, denn man sagte, sie seien die Palladien des Rittergutes, und wenn Jemand den Stuhl von seiner Stelle rücke oder das Männchen angreife und in eine andere Lage bringen wolle, der werde dafür schwer von demselben gezüchtigt.

Da diente um diese Zeit auf dem Hofe ein Knecht, der sich vor dem Teufel nicht fürchtete und einst in seiner Vermessenheit sich gegen seine Mitdiener rühmte, er wolle doch sehen, ob ihm etwas geschehen werde, wenn er sich an dem Stuhle vergreife. Darauf ging er also hinauf, schob den Stuhl weg und gab dem alten Männchen einen Backenstreich, allein die Strafe blieb nicht aus, denn noch in derselben Nacht legte sich dasselbe im Bette auf ihn als schwerer Alp und drückte ihn, bis es Tag wurde, in der nächsten Nacht litt es ihn ebenso wenig und in der dritten warf es ihn gar aus dem Bette heraus.

Nun ward er zwar ängstlich, rückte auch den Stuhl wieder an seinen alten Platz, allein der Geist war auf immer seiner alten Wohnung abhold, denn er zog auf und davon, in den darauf folgenden Tagen brannte das ganze Rittergut ab, und so viel man sich auch Mühe gab, den Stuhl und das Männchen zu retten, das einstürzende Dach begrub es unter seinen Trümmern und als man dieselben abräumte, war nichts mehr von ihnen übrig.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 426