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Der Spiritus Familiaris in Leipzig

  S. Monatl. Unterred. v. Reiche d. Geister. Bd. I. S. 738.

Zu Anfange des vorigen Jahrhunderts lebte in Leipzig ein Mann, dem man den Beinamen Scheide-Wasser-Hans gegeben hatte, weil er sich gewöhnlich bei den Kupferstechern aufzuhalten und dort seinen Unterhalt durch Dienste, welche er denselben leistete, zu finden pflegte.

Dieser kam nun eines Tages zu einem gewissen Künstler, der lange Jahre darüber nachgesonnen hatte, wie er den Namen eines Adepten mit rechtem Grunde erlangen möchte, und weil er nach dem gewöhnlichen Sprichworte die theure Venus wenig achtete, wenn er nur den lieben Vulcanus zu seinem gewissen Schwager haben konnte, so machte er besagten Hans zu seinem Handlanger oder vielmehr zu einer Mißgeburt von einer Vestalischen Jungfrau, damit er ihm sein Feuer beständig in Brand erhalten möchte.

Eines Tages mußte besagter Künstler wegen dringender Geschäfte sein Laboratorium verlassen, da er eben eine gewisse Materie in einer wohl lutirten Phiole auf dem Sandfeuer hatte, beim Hinweggehen aber sagte er zu seinem getreuen Feuer-Achates: „Hans, gieb wohl Acht auf das Feuer und fürchte Dich nicht, wenn Dich etwas im Laboratorio besuchen sollte, indem es Dir keinen Schaden thun kann.“ Dieser wußte nicht was er hierauf für eine Antwort geben sollte, blieb aber, dem Befehle seines Principals gehorsam, in dem Laboratorio eingeschlossen, obwohl er gern fortgegangen wäre, und wartete der Dinge, die da kommen sollten, freilich nicht ohne eine gewisse Angst zu empfinden.

Es währte auch nicht lange, so sah er durch die verschlossene Thüre eine große Katze zu sich kommen, welche so seltsame Sprünge vor ihm hermachte, dergleichen wohl kein sechzigjähriger Tanzmeister jemals herausbringen würde. Diese verfügte sich nach langem Herumschwärmen in die lutirte Phiole hinein, ohne dieselbe zu öffnen, worüber sich Hans höchlich verwunderte, daß dieses Thier sich von freien Stücken in einen Narrenkasten einschloß, bald darauf verlor dieselbe ihre vorige Katzengestalt und verwandelte sich in einen kleinen Wurm, welcher sich in diesem Feuernest versteckte.

Da aber endlich der Künstler wieder nach Hause kam und ihm Hans erzählte, was sich unterdessen zugetragen hatte, rief er ganz freudig aus: „nun habe ich den Schelm gefangen, nach dem ich lange Zeit getrachtet habe!“

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 394