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Der Ablaßkäse zu Wickershayn

  Hasche, Mag. Bd. III. S. 521 sq

Im Dorfe Wickershayn, das eine kleine halbe Stunde von Geithain gelegen ist und unter das Amt Rochlitz gehört, wird am Feste Heimsuchung Mariä ein sonderbares Fest gefeiert.

Nach 12 Uhr Mittag begiebt sich der ganze Rath, die Geistlichkeit, Schule, Cantorei und der Stadtpfeifer, Organisten und 16 Musikanten aus der Stadt Geithain in besagtes Dorf, wo sie beim Schulmeister abtreten und hier mit Bier und einer Pfeife Tabak bewirthet werden. Dann kommt ein Bauer aus dem Dorfe, einen zinnernen Teller in der Hand, und giebt jeder der genannten Personen (die Schüler ausgenommen) einen Groschen, so der Ablaßgroschen heißt, dem Oberpfarrer aber einen Thaler. Hierauf wird in die Kirche gelauten, und Alles zieht in Prozession in dieselbe, wo gesungen und Gottesdienst gehalten wird, dann wandert Alles aus dem Gotteshause zum Rathspachter in dessen große Scheuntenne, wo zwei Tische ohne Tischtuch und rund herum Stühle stehen.

An diese setzen sich die Obengenannten nach der Ordnung und was von Fremden etwa anwesend ist; vor der Scheune und im Hofe bleibt aber das zum Zusehen zusammengekommene Volk stehen. Wenn alle Stühle besetzt sind, bringt der Pachter schönes weißes Brod, Butter, Käse, und besonders auf einem runden Kuchendeckel einen runden Ziegenkäse von der Größe eines Schleifsteines, dann aber auch Bier in Krügen, und Jeder kann nach Belieben zulangen. Hierauf nimmt der Stadtrichter von Geithain den großen Ziegenkäse vor sich und schneidet davon Scheiben ab, die er auf einen hölzernen Teller legt, und dann denselben zuerst dem Oberpfarrer überreicht, der ihn wieder seinem Nachbar giebt, und so macht der Teller die Runde an beiden Tischen, bis Jeder seine Portion erhalten hat. Dieser Käse wird jedoch von den Wenigsten gegessen, sondern nebst einem Stücke Weißbrod in Papier gewickelt, mit nach Hause genommen und von da aus weit und breit verschickt, weil ihm dieselbe Kraft zugeschrieben wird, die man im Merseburgischen den sogenannten Grünen Donnerstagsbroden in oder aus dem Kreuzgange ertheilt.

Nach Zertheilung des Käses kann übrigens Jedermann nach Hause gehen. Dieser Gottesdienst und die Mahlzeit nachher geschieht aber zum Gedächtniß, daß der bekannte Tetzel hier seine Ablaßkrämerei getrieben und in der dortigen Gegend während der Fastenzeit hat Butter und Käse genießen lassen. Da er sich nun Butter und Käse stückweise bezahlen ließ, so sind die dortigen Einwohner auf den Gedanken gekommen, Käse von solcher Größe zu machen, um dadurch etwas von dem Ablaßpfennige zu sparen.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874, Seite 272