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Der Katharinenstein bei Lauenstein

  Ziehnert Bd. III. S. 163. sq. 
  Poetisch beh. v. Segnitz. Bd. II. S. 123. sq.

Um das Jahr 1651 ward Agnes Katharina von Bünau, geborne von Ponikau, Besitzerin von Lauenstein, nachdem ihr Gemahl auf einer Reise nach Mainz gestorben war. Da sie aber bei seinem Tode in anderen Umständen war, so genaß sie drei Monate nachher von einem Knäblein, welches sie um so mehr liebte, als es gewissermaßen das letzte Liebespfand ihres geliebten Verstorbenen war.

Einst lustwandelte sie mit der Wärterin des Kindes, welches jetzt über zwei Jahre alt war, auf einem Hügel in der Nähe des Schlosses, der jetzt der Pavillon genannt wird, und weil dasselbe sanft eingeschlafen war, so befahl sie jener, dasselbe auf den Rasen zu legen, indem sie mit ihr Blumen zu einem Kranze sammeln wollte, um damit das aufgewachte Knäblein zu schmücken. Leider aber entfernten sie sich bei diesem Geschäfte allzuweit von dem Kinde, und diese Gelegenheit erspähte ein gewaltiger Raubvogel, der schon lange in dem nahe gelegenen Forste auf Beute gelauert hatte, er stieß herab, packte das schlummernde Kind mit seinen Fängen und entführte es mit sich in die Lüfte.

Da ihn jedoch die Schwere des Kindes beim Fluge zu behindern schien, so flog er nur ziemlich langsam nach den jenseits des Schlosses gelegenen Felsklüften, und war schon über dem hohen und felsigen Hügel, der sich im obern Theile des unmittelbar vor dem Schlosse liegenden Städtchens Lauenstein erhebt, angelangt, als plötzlich ein Schuß fiel, den ein aus dem nahen Forste kommender Jäger, welcher den Vorgang gesehen, mit sicherer Hand entsendet hatte. Der Vogel stürzte herab und die herbeigeeilte Wärterin konnte das Kind, welches, von den Krallen des Thiers gehalten, lebend mit herabkam, der verzweifelnden Mutter zurückgeben.

Zum Andenken an diese wunderbare Rettung ließ diese aber auf dem Hügel, wo der Vogel todt herabgestürzt war, einen Thurm erbauen und später auch eine Glocke darin aufhängen. Zwar ist jener jetzt zur Ruine geworden und die Glocke in den Thurm der Lauensteiner Kirche gekommen, allein der Hügel heißt noch bis auf diese Stunde der Katharinenstein.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. Schönfeld, Dresden 1874