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Der Hirt und der Kaiser Friedrich

Die Schäfer und Hirten, welche auf dem Kiffhäuser weiden, sind besonders die Günstlinge des Kaisers gewesen und dessen Pagen und Hofjunker, die in Zwerge, Mönche und andere verkrüppelte Gestalten verwandelt wurden, haben sich stets gern mit ihnen abgegeben.

Einem Hirten, der einst, an das alte Gemäuer der Burg gelehnt, sich ein lustiges Liedchen pfiff, erschien auf einmal solch ein kaiserl. Hofdiener und frug ihn: »Willst Du Kaiser Friedrich sehen?« »O ja!« erwiederte der dreiste Hirt. Der Zwerg führte ihn nun in den Berg, der sich immer vor ihnen her öffnete, bis sie endlich an eine große weite Grotte kamen. Hier saß der Kaiser leibhaftig in glänzendem hellfunkelndem Schmuck. Die Wände der Grotte waren mit flimmernden Sternchen übersäet, und vor dem Kaiser auf einem steinernen Tische brannte ein großes dickes Licht.

Der Schäfer machte eine Verbeugung so gut er konnte, war aber gar nicht furchtsam, schaute vielmehr umher und besah alle die Kostbarkeiten, die hier standen. Nach einer Weile fragte ihn der Kaiser, ob die Raben noch um den Berg flögen. »O ja«, erwiederte der Hirt. Da blickte der Kaiser gen Himmel, hob langsam seine dürren braunen Mumienhände auf und sprach mit weinerlicher Stimme: »Ach, so muß ich noch hundert Jahre an diesem Orte schlafen!« Der Zwerg winkte hierauf dem Schäfer. Sie gingen zurück, er erhielt aber nichts. Unwillig wollte er schon den Zwerg darüber zur Rede setzen, aber fort war er.

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 440-441; www.zeno.org