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Die Wunderblume

Ein Schäfer aus Sittendorf trieb einst am Fuße des Kiffhäusers. Es war ein hübscher Mensch, und mit einem guten, aber armen Mädchen verlobt. Doch weder er noch sie hatten ein Hüttchen oder Geld, ihre Wirthschaft einzurichten. Traurig stieg er den Berg heran, aber je höher er kam (es war ein schöner Tag), desto mehr verlor sich die Traurigkeit. Bald hatte er die Höhe des Berges erreicht, da fand er eine wunderschöne Blume, dergleichen er noch nie gesehen hatte. Die pflückte er und steckte sie an seinen Hut, um sie seiner Braut mitzunehmen.

Oben auf der Burg findet er ein offenes Gewölbe, dessen Eingang nur etwas verschüttet war. Er geht hinein und findet viele kleine, glänzende Steine auf der Erde liegen und steckt so viele ein, als seine kleinen Taschen fassen konnten. Nun wollte er wieder ins Freie, da rief ihm eine dumpfe Stimme zu: »Vergiß das Beste nicht!« Er wußte nicht, wie ihm geschah und wie er aus dem Gewölbe herauskam. Kaum sah er wieder die Sonne und seine Heerde, so schlug die Thüre, die er vorher gar nicht gesehen hatte, hinter ihm zu. Er faßt nach seinem Hut und die wunderschöne Blume, die er seiner Braut hatte bringen wollen, war fort; sie war beim Stolpern herabgefallen. Urplötzlich stand vor ihm ein Zwerg und fragte: »Wo hast Du die wunderschöne Blume, die Du fandest?« »Verloren!« sagte traurig der Schäfer. »Dir war sie bestimmt«, antwortete der Zwerg, »sie ist mehr werth als die ganze Rothenburg.«

Traurig geht der Schäfer am Abend zu seiner Braut und erzählt ihr die Geschichte von der verlorenen Wunderblume; Beide weinen, denn Hüttchen und Hochzeit waren wieder verschwunden. Endlich denkt der Schäfer wieder an seine Steine und wirft sie scherzend seiner Braut auf den Schooß, und siehe, es waren lauter Goldstücke. Nun kauften sie sich ein Hüttchen und ein Stück Acker dazu; die Wunderblume aber blieb verschwunden und wird von den Bergleuten noch heute gesucht, in den Gewölben des Kiffhäusers nicht allein, sondern, da verborgene Schätze rücken, in der Questenburg und selbst auf der Nordseite des Harzes. Bis jetzt hat sie aber noch Keiner gefunden.

Quellen: