Distel und Dornen bringen es an den Tag

Ein Händler wurde von jemand auf dem Wege überfallen und getötet. Der Sterbende sagte: „Destel on Döe wäede et usbrenge“, und damit verschied er. Der Mörder vergrub ihn am Wege in die Erde und suchte alle Zeichen, die auf etwas Besonderes schließen ließen, zu verwischen. Man vermisste zwar den Verschollenen, aber man konnte keine Spur von einem Mörder entdecken.

Nach langer Zeit ging der Mörder mit seiner Frau spazieren, und sie kamen an der Mordstelle vorüber. Da sah der Mörder an der Stätte, wo sonst nie Dornen und Disteln gestanden hatten, üppig diese Pflanzen emporschießen. Er lachte darüber so überlaut, dass seine Frau ihn verwundert fragte: „Warum lachst du denn so?“ Er wollte es anfangs nicht sagen. Sie drang jedoch in ihn, und er sprach endlich: „Wie, soll ich denn nicht lachen dürfen?“ Sie entgegnete: „Wenn du doch so lachst, so musst du doch eine Ursache dazu haben.“

Da sagte er: „Hier habe ich im vorigen Jahr den Händler, den man lange Zeit vermisst hat, getötet und vergraben. Der Ermordete drohte mir vor seinem Tode, Dornen und Disteln würden es ausbringen, als wenn diese Pflanzen so etwas könnten. Das ist mir zum Lachen.“

Obschon seine Frau ihm versprochen, mit keinem Menschen darüber zu reden, konnte sie doch nicht schweigen. Sie teilte es im Vertrauen einer Freundin mit. Dadurch breitete es sich allmählich aus; bald nahm man den Mann gefangen, und er musste die verdiente Strafe erleiden.

So hatten denn Dornen und Disteln, wie der Sterbende vorausgesagt hatte, es wirklich ausgebracht.

Quelle: Heinrich Hoffmann: „Von Römern, Rittern und ruschigen Juffern“ Zur Volkskunde des Jülicher Landes, Sagen aus dem Indegebiet, 1914; durch Reinhild von Capitaine digitalisiert und neu veröffentlicht; eifelon.de