Die Stolzenburg

Wenn der Waller das fruchtbare Urftthal von Call nach Dahbenden hinaufzieht, gewahrt er auf einer, aus schauerlichem, dichtem Gebüsche hervorragenden Felsens Kuppe, halb verwittertes Mauerwerk und eingesunkene Räume, welche die Ueberreste einer Burg aus der Vorzeit sind, in der einst ein hartherziger Ritter zum Unheil der Umgegend und zum Schrecken der Reisenden hauste.

Sein Lebenszweck war Saufen, Rauben und Plündern, und seine größte Freude bestand im Unterdrücken der hartbedrängten Anwohner; darum war er von jedermänniglich gehaßt und gefürchtet; seine Raubgenossen selbst hegten einen geheimen Widerwillen gegen ihn und mochten es im Gemüthe nicht billigen, daß er den armen Leuten in verwerflichem Uebermuthe unnöthigen Druck aufbürdete, oder dem Armen, der um ein Stückchen Brod bat, um sich und die Seinigen vor grausem Hungertode zu retten, mit höhnischem Gelächter von seinem Hofraume peitschen, oder ihn gar von der Rotte kleffender Hunde hinausheßen ließ.

Der Stolzenburger, so hieß der Wütherich (denn bis zum 10. oder 12. Jahrhundert hinauf, pflegten die Ritter ihre Familiennamen von ihren Vesten herzuleiten), führte ein so arges Leben, daß mancher fromme Mann blutige Thränen darüber hätte weinen mögen. Von Geiz besessen und der daraus entspringenden Habsucht getrieben, sammelte er sich durch die himmelschreiendsten Mittel Schäße, nicht beherzigend der frommen Spruch seines Hausgeistlichen: „Unrecht Gut hilft nicht, nur Gerechtigkeit hilft am Tage des ewigen Zornes,“ vielmehr täglich fortschreitend auf der breiten Bahn des Bösen.

Der Kaufherr zog darum auch mit Furcht und Zittern den einsamen Thalweg hinan längs dem Raubnest des goldgierigen Mannes, und nicht selten war es, daß er aus seinem wohlversteckten Hinterhalt, worin er mit seinen Reisigen aufzulauern pflegte, wenn er Kunde von einer bevorstehenden Beute erhalten, verderbend hevorbrach, den vorüberziehenden Wanderer aufhob, ihm seine Habseligkeiten raubte und ihn elend und blos dahinziehen ließ, oder ihm gar das Leben nahm.

Heimgekehrt von Raub und Mord ergößte er sich am Peinigen seiner Unterthanen, denen das wahrlich traurige Loos zu Theil geworden war, daß sie auf Gottes schöner Erde nichts ihr eigen nennen konnten, und selbst ihr elendes Leben von einem Winke des Zwingherrn abhing. Die Unschuld, die eheliche Treue war in seinen Augen leerer Land, und die Diener des göttlichen Wortes schüßte nicht ihr frommes Leben, nicht ihr heiliges Gewand gegen seine ewigen Verfolgungen. Seine Hunde schatte der Stolzenburger weit höher als Menschen, die nicht seines Gleichen waren, wähnend, daß sie nur darum da seyen, daß er an ihren Qualen sich erfreuen möge.

Nur wenige von den vielen Schauderthaten dieses Wütherichs hat die Sage uns aufbewahrt, doch reichen auch diese hin, gerechten Abscheu gegen den Urheber derselben zu erwecken, und es wird genügen, nur diejenigen aufzuzeichnen, die sich im Munde des Volkes am häufigsten wiederholt.

Der Stolzenburg gegenüber wohnte ein Ritter, der sich der Bielsteiner nannte; mit diesem wetteiferte er im Hohnsprechen gegen die Gottheit und Menschheit. Er erbaute, wie man sich erzählt, eine Brücke über das Urftthal, um darüber mit Brod Kegel zu schieben, wenn der Arme in Hungerqualen um eine Gabe flehte; seine Kinder ermunterte er, mit Wagen, die, statt der Räder, vermittelst großer Brode fortrollten, über die Brücke zu fahren, indeß die Kinder der Armen heißs hungrig, zerlumpt, ihre gierigen Blicke auf das im Uebermuthe zertretene Brod richtend, seufzend herums irrten, indeß die Mutter ihren Säugling dahinsterben sah, weil es ihr an Nahrung gebrach. Mit Herzensfreude weidete der Unmensch seine Augen an den abgehärmten Gestalten, und ließ sie auspeitschen bis auf's Blut, wenn sie je ein Bischen zertretenes Brod erhaschten und es mit krampfhafter Begier verschlangen.

So verlebte der Stolzenburger seine Tage, so hauste er auf seinem Felsen-Neste, von Niemand geliebt, von Allen verwünscht; so stürmte der Frevler, Unthat auf Unthat häufend, täglich reifer zum Untergang, Gottes Strafe tobend entgegen. Und sie erreichte ihn, ehe sein kräftiges Alter sich zum Grabe neigte; ihm war nicht vergönnt, im fanften Schlummer des edler Greis ses hinüber zu gehen. Auf der Mitte seiner Laufbahn wurde er von hinnen genommen, um Rechenschaft abzugeben von seiner Thaten Frucht.

Eines Abends, nachdem er sich den Tag hindurch in Erfindungen mancherlei Art erschöpft hatte, die Einwohner zu quälen, saß der Wütherich bei Sauf und Schmaus, hohnlachend über die Menschenhunde, spottend der göttlichen Allmacht: und siehe da, auf einmal schwirrte mit gräßlichem Geschrei eine Rotte Raben nahe an seinem Fenster vorbei, der Blick des schönen Silbermondes erlosch, eine schauerliche, tiefs schwarze Dunkelheit verbreitete sich über die Gegend, die Menschen waren betăubt, die Thieren stöhnten aus Angst ob dem Gebrülle, das von allen Seiten stärker und immer stärker hervorrollte.

Der Stolzenburger entfärbte sich, denn er mochte wohl ahnen, daß das schreckliche Getöse der Natur für ihn, den Unnatürlichen, den Grabgesang bedeute; und er erhob sich, wollte beten, zum ersten Male beten in seinem Leben, da ertönte ein Krachen, daß die nahen Berggipfel ihre kahlen Häupter neigten - und die Stolzenburg war nicht mehr!

Früh Morgens, als die Bewohner der Gegend sich vom Schrecken des übernatürlichen nächtlichen Ereignisses erholt hatten, eilten sie auf die Stolzenburg zu, und fanden dort nur noch die Zinnen aus einem ungeheuren Schlunde spärlich hervorragen. Die Burg war mit allem, was darauf gewesen war, in den Abgrund gesunken.

Den Ritter hat man späterhin in verschiedenen trugvollen Gestalten herumschweben gesehen; des öftern erscheint er als schwarzer Hund und muß in den tiefen Gängen der Burg seine Schätze bewahren, die zu heben sogar noch in neuerer Zeit Menschen aus fremden Landen gekommen, welche auch wieder mit der Erkenntniß abgezogen sind, daß Albernheit sie bethört hatte.

Quelle: Alfred von Reumont, Rheinlands Sagen, Geschichten und Legenden,1837