Die Steinprobe

In der Stubnitz, nicht weit vom Herthasee, findet man einen Stein, in welchem man deutlich die Spuren eines bloßen Fußes und eines ganz kleinen Kinderfußes abgedrückt sieht. Davon erzählt man sich folgendes :

Zur Zeit. als noch der Dienst der Göttin Hertha auf der Insel bestand, war unter den Jungfrauen, die der Göttin zu ihrem Dienste geweiht waren, ein junges und sehr schönes Mädchen. Diese, obgleich sie der Göttin ewige Jungfrauschaft hatte geloben müssen, hatte eine Liebschaft mit einem fremden jungen Ritter, mit dem sie allnächtlich heimliche Zusammenkünfte an den Ufern des heiligen Sees hielt.

Sie hatte aber ihre Liebe nicht so geheim halten können, daß nicht dem Oberpriester der Göttin Kunde davon geworden wäre. Diesem wurde es hinterbracht, daß eine der Jungfrauen strafbare Liebe pflege, nur welche es sei, konnte man ihm nicht sagen.

Der Priester stellte alle Jungfrauen zur Rede; aber keine bekannte, auch die schuldige nicht. Da rief er die Göttin an, daß sie ihm die schuldige durch ein Wunder entdecken möge. Er führte nun sämtliche Jungfrauen in den Wald zu einem großen Opfersteine. Dort befahl er ihnen, daß sie, eine nach der andern, mit nackten Fuße auf den Stein treten mußten. Das taten sie, und als die schuldige den Stein betrat, da offenbarte sich plötzlich ihr Vergehen, denn nicht nur ihr eigener Fuß drückte sich in dem harten Stein ab, sondern daneben auch der Fuß eines Kindes. Dies sind die Fußspuren, die man zum ewigen Wahrzeichen noch jetzt in dem Steine sieht.

Der Priester soll die Sünderin oben von der Stubbenkammer haben in das Meer stürzen lassen; aber ein Engel hat sie, wie die Leute sagen, in seine Arme genommen und sanft heruntergetragen. Unten hat ihr Geliebter schon auf sie gewartet und sie in seinem Schiffe mit sich genommen in seine ferne Heimat.

Quelle: Temme Volkssagen Nr. 276.

II.

Auf dem Opferstein bei der Herthaburg sieht man die Eindrücke von einem gewöhnlichen Menschenfuße, einem Kinderfuße und einem Hasenfuße. Damit verhält es sich folgendermaßen:

Einst sollte hier ein Jungfrau geopfert werden, welche in dem Verdachte stand, mit dem Schwarzen Umgang gepflogen zu haben. Sie aber beteuerte ihre Unschuld, und die Priester verlangten ein Zeichen, daß sie rein vor Gott sei und mit dem Bösen nichts zu tun habe. Da erschien ein fremdes Kind, das war ein Engel; und zugleich zeigte sich ein Hase, das war der Böse. Und das Kind nahm die Jungfrau bei der Hand und ging mit ihr über den Stein, der Hase aber folgte ihnen nach. Von allen dreien sind die Eindrücke ihrer Füße auf dem Stein zurückgeblieben, und daran hat man die Unschuld des Mädchens erkannt.

Der Eindruck des Hasenfußes wird auch als Spur von dem Fuße eines Hundes gedeutet.

Quelle: Sundine 1837 S.388; Homepage des Vereins der Freunde und Förderer des Nationalparkes Jasmund e.V