Die Sage vom Reißdamm

Das hiesige Vorwerk Reißdamm im Schraden zwischen Elsterwerda und Plessa war in uralten Zeiten eine Wasserburg, die ihren damaligen Standort allerdings mehr nach Merzdorf zu hatte. Auf dieser Burg hauste ein einsamer Ritter, dem die umliegenden Dörfer im Schraden zinspflichtig waren. In jedem Jahre forderte er zu einer gewissen Zeit aus einem dieser fronpflichtigen Dörfer das schönste Mädchen zu seiner Frau. Das war aber bereits schon mehr als dreißig Mal geschehen und die Bewohner der Dörfer waren mit Grimm über dieses Treiben erfüllt, weil keines der dreißig Mädchen jemals wieder zurückgekehrt war. Einmal aber trug sich folgende Geschichte zu: Auf einer einsamen Straße zwischen Merzdorf und Krauschütz zog ein junger Wanderer seines Weges, als ihm kurz vor Krauschütz eine Schar klagender Weiber begegnete.

Nach dem Grund ihres Leides befragt, antworteten die Frauen: „Guter Mann, wer ihr auch seid, helft uns in unserer großen Angst und Not, denn bisher hat noch keiner helfen können.“ Der Wanderer wollte wissen, welche Not sie plage. Da sagten ihm die Weiber: „Es ist wieder die Zeit, wo der finstere Ritter das schönste Mädchen aus unserem Dorfe fordert. Heute abend will er sie holen und auf seine Burg führen. In diesem Elend leben wir von Jahr zu Jahr, denn wir wissen nicht, wo unsere Töchter bleiben.“

Der Fremde bedachte sich eine kurze Zeit und sagte dann, daß er ihnen helfen wird. Er ließ sich genau berichten, wann und auf welchem Wege der Ritter kommt und seinen Raub entführt. Er erfuhr auch, daß die dem Ritter untertänigen Bauern auf dem Wege, den der Ritter benutzt, große Reisigbündel in den Sumpf werfen mußten, damit der Ritter mit seiner schönen Last nicht versank. Die Bauern mußten also einen Damm aus Reisig legen, der heute noch dem Vorwerk Reißdamm seinen Namen gibt.

Dem jungen Wanderer verflog alle Müdigkeit, als er an die Ausführung seines Planes ging, dem Mädchenräuber das Handwerk zu legen. Er wählte einen beherzten jungen Mann aus dem Dorfe aus und weihte ihn in seine Pläne ein. Sie hängten sich große weiße Bettücher um und hielten sich in einem dichten Gebüsch in der Nähe des Reißdammes verborgen. Als die Dämmerung hereinbrach, hörten sie einen Lärm und wußten, daß jetzt ihre Stunde gekommen war. Die Bauern schleppten mühselig die schweren Reisigbündel heran und warfen sie in den Sumpf. Die Knechte des Ritters trieben mit rohen Worten und Schlägen die Bauern an, denn dicht hinter ihnen kam bereits der Ritter mit dem Mädchen im Sattel, dem er, wie in jedem Jahre, ein schönes Kleid geschenkt hatte.

Weil die Dämmerung schon stark hereinbrach, drängte auch der Ritter auf die Bauern ein, damit sie schneller die Reisigbündel warfen. Plötzlich flatterten aus einem Erlengebüsch zwei Gespenster heraus. Das Pferd des Ritters scheute und sprang mit einem gewaltigen Satz vom Reisigdamm in den Sumpf. In diesem Augenblick griffen die Arme der Männergespenster zu und entrissen dem Ritter das Mädchen vom Pferde. Der Ritter aber und sein Pferd versanken für immer im Moor. Die Ritterknechte waren vor Schreck und Furcht wie gelähmt und entflohen diesem unheimlichen Orte. Das Mädchen wurde ihren Eltern zurückgegeben und unter Führung des jungen Wanderers zogen die Bauern zur Burg des Ritters. Man fand dort die grausige Hinterlassenschaft dieses Wüstlings.

In einem Gewölbe waren die Köpfe sämtlicher Mädchen, die er bisher gefordert hatte, der Reihe nach aufbewahrt. Die langen Zöpfe waren nach vorn geflochten. Da wußten die Bauern dem fremden Wanderer herzlichen Dank, weil er durch seine Tat diese Heimsuchung ihrer Dörfer und den Tod der Mädchen fortan abgewendet hatte. Sein Name ist nicht überliefert. Von der erbitterten Bauernschar, von den Weibern und Mädchen aber wurde noch in der gleichen Nacht das Nest des Ritters niedergebrannt und nie mehr wieder aufgebaut.

Vor nicht zu ferner Zeit soll noch die Stelle, wo sich dieses ereignet hat, durch Trümmer und Mauerspuren zu finden gewesen sein.

Quelle: Heimatverein Merzdorf