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Die Maus (Ey)

Als der Dreizehnlachterstollen belegt wurde, setzte man im Bergamt den Bergmeister H. zum Führer der großen Arbeit ein. Das ist im vorigen Jahrhundert gewesen. Dieser Mann hat keine Frau, nur eine Haushälterin gehabt, die für sein Hauswesen mit Leib und Seele sorgte. Hatte der Herr sein Mittagsessen verzehrt, so pflegte er in der Regel ein kleines Schläfchen zu machen.

Einst sprach er zu seiner Haushälterin: »Kathrine, wenn ich eine halbe Stunde geschlafen habe, so weck’ mich. Aber ja keine Minute früher oder später, denn meine Ehre und mein Leben hängen davon ab.«

Die Haushälterin setzte sich also vor ihren schlafenden Herrn hin und passte auf ihn und die Sanduhr. Als er eine Viertelstunde geschlafen hatte, kam ihm auf einmal eine Maus aus dem Mund gekrochen, lief an ihm herunter und verschwand auf der Erde. Eine Minute vor der bestimmten Zeit des Aufwachens kam sie wieder zurück, kroch dem Bergmeister in den Mund und war verschwunden. Mit einem tiefen Schnarchen erwachte der Schläfer, dann kriegte er schnell sein Anfahrzeug her, zog das an und ging fort, um nachzufahren. Das war oft geschehen, und jedes Mal hatte er von der Maus Nachricht bekommen, ob die Leute falsch arbeiten oder ausgerissen waren oder ausreißen wollten, und kein einziges Mal war er vergebens angefahren, etliche hatte er immer auf ihren Schleichwegen abgefasst.

Ein gewisser Bergmann Schramm war mit mehreren Kameraden vor Ort, arbeiteten auf dem Durchschlag, und wollten sich den Freitag Nachmittag zu gut machen. Als sie dem obersten Fahrloch nahe kamen, sahen sie den Bergmeister oben daran stehen und kehrten wieder um. Das dreimal, und jedes Mal war er da. Nach Beendigung der Schicht fragten sie den Gaipelaufseher, wie lange denn der Bergmeister an diesem Nachmittag da geblieben sei. Der Gaipelaufseher1) hatte aber den Bergmeister nicht gesehen. Ebenso wurde die Haushälterin des Bergmeisters gefragt, wie lange ihr Herr den Freitag Nachmittag ausgewesen sei. Die aber antwortete, er sei nicht aus der Stube gekommen. Und doch hatten ihn die Gedingheuer alle am Fahrloch gesehen.

Bei der Abnahme des Gedings sagte der Bergmeister zu diesen Leuten: »Wenn sie denn wieder ausrissen oder ausreißen wollten, so würden sie nicht wieder aufs Geding kommen.«

Quelle:


1)
Gaipel: Im Harz häufig anstelle von Huthaus genutzter Ausdruck für ein über dem Schacht stehendes Betriebsgebäude, abgeleitet von Göpel (Historische Förderanlage, entweder Pferde- oder Wassergöpel; im weiteren Sinn eine stärkere Fördermaschine.). Quelle: Wikipedia