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Die Glocken von Reinhardtswalde tönen

Einst war ein Jäger im wüsten Dorfe auf dem Anstande. Es mochte um Mitternacht sein. Der Vollmond stand hoch oben überm Walde und machte die Nacht zum Tage. Tiefste Stille ringsum! Kein Lüftchen regte sich. Es war, als ob auch die Bäume schliefen. Da drang plötzlich an des Jägers Ohr vom Kirchberge her das silberhelle Klingen einer Glocke, bald stimmte eine zweite ein. Der Weidmann lauschte auf und wunderte sich nicht wenig über das seltsame Tönen von Glocken mitten im einsamen Wald. Anfangs glaubte er, sich getäuscht zu haben, aber bald merkte er, daß es doch Wirklichkeit war. –

Und was war denn das? – Kaum traute er seinen Augen! Durch den dämmernden Wald schimmert drüben vom Kirchberge her ein strohgedecktes Kirchlein, dessen Spitzbogenfenster hell erleuchtet waren. Da und dort im stillen Wiesengrund erhoben sich kleine Hütten, die Häuser von Reinhardtswalde. – Als in den umliegenden Dörfern die Glocken die erste Morgenstunde verkündigten, verstummten plötzlich die Glocken drüben auf dem Kirchberge. Im selbigen Augenblick verschwand auch das Kirchlein, und die Hütten im Wiesental waren nicht mehr zu sehen.

Quelle: Friedrich Bernhard Störzner: Reinhardtswalder Sagenbüchlein. Buchhandlung Otto Schmidt, Arnsdorf in Sachsen 1924