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Die Geizige

Eine Frau aus Zellerfeld besuchte einmal ihre Schwester in Lautenthal. Als sie hinkam, hörte sie, dass tags zuvor aus dem Haus eine Frau begraben worden war, die aber allgemein der Geizhals hieß. Die Lautenthäler hatte keine Kammer weiter gehabt, ihre Schwester musste also in der Stube auf dem Kanapee schlafen. Es wurde nun Bettzeug heruntergeholt und ein Bett zurechtgemacht.

»Ja«, sprach die Zellerfelder, »die Geizige ist doch hier auf dem Kanapee nicht gestorben?«

»Nein«, sagte die andere. »Wo ließ ich dich denn sonst da schlafen?«

In gutem Glauben legte sich also jene auf das Bett, das zurechtgemacht war. Die anderen ging die Treppe hinauf. Die Zellerfelder konnte aber nicht einschlafen. Es schlug zehn, es schlug elf, und sie schmiss sich von einer Seite auf die andere. Wie es gerade ein Viertel auf zwölf schlug, dachte sie: Na, das ist die Geisterstunde, wenn nur die Geizige wegbleibt. Aber kaum hatte sie es gedacht, da ging die Tür auf und herein kam eine weiße Gestalt. Der Mond war halb gewesen und hatte in die Stube geschienen, dass man recht gut so etwas sah. Auch waren die Läden nicht zu gewesen. Die Gestalt kam auf die Frau zu, die da lag, schob den Tisch weg und fasste den Mantel (es war der ihre gewesen), mit dem die Zellerfelder zugedeckt war und riss ihn der weg. Sie hatte auch im Tod noch nicht leiden können, dass ihre Sachen gebraucht wurden, warf ihn in die Stube, kramte auch noch vor der Schublade herum und das alles mit schrecklichem Lärm und Spektakel, sodass der Zellerfelder der Angstschweiß ausbrach.

Endlich schlug es zwölf und mit dem letzten Schlag war alles weg und still. Bis dahin hatte die Zellerfelder nicht sprechen und rufen können. Sie hatte es versucht, es war aber nicht gegangen. Nun konnte sie aber rufen und schrie ihre Schwester wach. Diese kam herunter und fand, wie sie hereinkam, den Mantel mitten in der Stube und auch das Zeug der Toten, das in der Schublade gelegen hatte, auf der Erde herumliegen, sonst aber nichts weiter verändert. Von da an hatte sich die Geizige nicht wieder sehen und hören lassen.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862