Die Erfindung des Kobaltblau

Im sechzehnten Jahrhundert begann der Ertrag der Bergwerke im oberen Erzgebirge von Jahr zu Jahr nachzulassen. Da erhob sich überall ein großes Klagen über den Silberräuber oder Kobold, der das wertvolle Silbererz in taubes Gestein verwandelte. Zu dieser Zeit kam nach geo:Schneeberg ein Fremder namens Christoph Schürer. Er war der Sohn eines Apothekers in Westfalen, von wo er wegen seines evangelischen Glaubens hatte fliehen müssen. In Schneeberg fand er eine neue Heimat, und da er in der Chemie und Naturkunde gut Bescheid wußte, auch bald eine Anstellung bei den Hütten. Kurze Zeit darauf gewann er die Liebe eines braven jungen Mädchens, der Tochter des Hüttenmeisters Rau; bald erhielt er auch das Einverständnis des Vaters, und die Hochzeit wurde auf das nächste Bergfest angesetzt.

Ehe aber das Fest herangekommen war, drohte ein schlim-, mer Verdacht alle Hoffnungen des glücklichen Brautpaares zu vereiteln. Schürer war bei seinen chemischen Arbeiten auf den Gedanken gekommen, den verrufenen Kobold durch ein ehemisches Verfahren zu etwas Nützlichem umzuwandeln. In seiner Schmelzhütte machte er im geheimen viele Versuche und arbeitete dabei oft ganze Nächte hindurch so fleißig, daß er in den Verdacht geriet, ein Alchimist und Schwarzkünstler zu sein. Ehe er nämlich nach Schneeberg gekommen war, hatte er schon eine Zeitlang in dem böhmischen Ort Platten gearbeitet, aber dort hatte er sich wegen seines evangelischen Glaubens Feinde und durch seine Tüchtigkeit viele Neider zugezogen. Als nun seine Feinde in Platten hörten, wie Schürer in Schneeberg lebte, beschuldigten sie ihn, er sei ein Zauberer und Dieb, und forderten seine Auslieferung. Deshalb gab der Schneeberger Bergmeister Anweisung, ihn zu verhaften.

Soeben war Schürer in seiner Schmelzhütte mit neuen Versuchen beschäftigt, da erschien der Büttel, um ihn festzunehmen; da aber die äußere Tür verschlossen war und er nicht hineingelangen konnte, meldete er es dem Bergmeister. Dieser wurde nun neugierig und ging in Begleitung des Hüttenmeisters Rau und einiger Geschworener mit zu der Schmelzhütte. Sie sprengten die Tür auf und sahen, wie ihnen der vermeintliche Verbrecher mit leuchtenden Augen freudig entgegenkam. Aber wie erstaunte der Forscher, als der Büttel ihn am Arm ergriff und ihm die Handschellen anlegen wollte. Wie erschrak er, als er hören mußte, daß ihn die Bergherren mit Vorwürfen überhäuften und ihn einen Zauberer und Dieb schalten!

Jedoch er faßte sich schnell und rief den Eintretenden mit fester Stimme entgegen: „Männer prüfen, bevor sie entscheiden! Wenn ihr glaubt, ich treibe hier Unfug mit schwarzer Kunst, so kommt herein und sehet selbst! Seht, ich wollte etwas Neues schaffen, und Gott sei Dank, nun ist es mir gelungen; ich hoffe, es soll noch dem ganzen Land von Nutzen sein!“ Bei diesen Worten reichte er ihnen eine kleine Mulde mit feinem blauen Mehl hin. Die Bergherren waren sehr erstaunt und verlangten zu wissen, wie und woraus er diese schöne Farbe bereitet habe. Schürer zeigte es ihnen allen bereitwillig und reinigte sich so von dem Verdachte, ein Schwarzkünstler zu sein. Darüber freute sich der Bergherr sehr und versprach, alles zu tun, um seine Unschuld gegen die Anklagen der Böhmen zu beweisen. Dies gelang ihm auch mit leichter Mühe, und Schürer erlangte dadurch sogleich seine Freiheit wieder.

Durch die Erfindung der schönen blauen Farbe, die man zuerst nur das blaue Wunder, später aber Kobaltblau nannte, kam er zu großen Ehren; und als nun das Bergfest gekommen war, konnte er auch seine junge Braut heimführen.

Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 110; Sagen.at