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Der wilde Jäger und der Bergmönch

Auf dem Goslarschen Weg ist schon manches erzählt, auch diese Geschichte. Vor vielen Jahren, wie hiernach die Wege schlecht gewesen waren, hatte eine Frau alle Woche irdenes Geschirr von Goslar geholt und verkauft. Des Morgens früh war sie denn fortgegangen und oft erst in der Nacht wiedergekommen.

Einmal hatte sie sich lange in Goslar aufgehalten und ging dort weg, als es schon halb dunkel war. Sie kannte aber jeden Schritt und Tritt, nahm ihre Kiepe mit dem Geschirr auf den Rücken und trampte lustig ihren Weg nach Clausthal. Die Berge hinauf ging’s zwar langsam, doch aber immer fort und so kam sie oben an, da wo das Zipollenbeet1) lag.

Von der schweren Tracht und den langen steilen Bergen mürbe gemacht, hatte sie sich vorgenommen, erst ordentlich zu ruhen. Da sah sie mit einem Mal nicht weit von sich ein großes Feuer und um dasselbe ward sie Leute gewahr. Sie dachte, es wären Köhler oder Holzhauer, und da sie recht durstig war, ging sie darauf zu und wollte sich ein wenig Wasser zum Trinken geben lassen. Als sie aber näher und näher kam, sah sie zu ihrem großen Schrecken, dass ein riesiger Jäger mit seinen Gesellen, furchtbare Gesichter, um das Feuer herumsitzen, und ein gewaltig großer Hirsch am Spieß gebraten wurde.

Als das Schlimmste dabei war, schrecklich große Hunde liefen da herum, kamen auf sie zu gejagt, sprangen an ihr in die Höhe, dass sie ihren glühenden Atem fühlte, fassten an ihren Mantel, als wollten sie sie umreißen, und die Kerle blieben ruhig sitzen und kümmerten sich gar nicht um die verängstigte Frau. Alles ging so unheimlich, so still zu. Sie lief, was sie laufen konnte, um den Bestien aus den Klauen zu kommen, ja sie rannte mit grässlicher Angst so lange, bis sie vor Mattigkeit hinstürzte und ohne Besinnung unter ihrer Kiepe liegen blieb.

Als sie wieder aufwachte, stand ein Mann bei ihr, der hatte einen grünen Schachthut auf, eine schwarze Puffjacke an und ein mächtig großes Licht in der Hand, der half ihr auf und fragte sie, was ihr fehle? Sie erzählte ihm unter Tränen, wie es ihr ergangen sei und dass nun wahrscheinlich all ihr irdenes Geschirr von dem Laufen und zuletzt durch den Fall entzweigegangen wäre. Sie sei blutarm, hätte ihr bisschen Armut ganz in diesen Handel gesteckt und alles in der Kiepe gehabt. Nun läge die Geschichte in Scherben, sie wisse gar nicht, was sie anfangen solle.

Der Geschworene, denn das meinte die Frau, müsse er gewesen sein, bedauerte sie, machte ihr den Mantel von der Kiepe zurück und leuchtete mit seinem Licht in die Kiepe und sprach, sie solle sich nur zufriedengeben, alles wäre noch nicht verloren.

Dann sagte er »Glückauf« und ging nach Goslar; die Frau wie geprügelt und voll Traurigkeit nach Clausthal zu. Als sie nach Hause kam, war es schon bereits Tag geworden. Sie ging in ihre kleine Stube, setzte ihre Kiepe auf den Tisch und fiel vor Mattigkeit auf die Bank hin. Dabei konnte sie es doch nicht lassen, nach der Kiepe zu sehen, und daran zu denken, wie es wohl mit ihrem Geschirr stände, ob wohl noch etwas ganz geblieben wäre oder alles in Scherben in der Kiepe läge. Wie erstaunte sie aber, als sie den Mantel zurückschlug und statt Scherben, lauter blitzblanke feine Gulden, aber keinen Napf oder Topf darin fand.

Sie lief gleich herum vorn in die Stube zu ihrer Wirtin, das war eine kluge alte Frau gewesen, die kam und sah die Geschichte und sagte, die Gestalten bei dem Feuer, das wäre der wilde Jäger mit seiner Sippschaft und seinen Hunden, der Geschworene aber der Bergmönch gewesen. Sie solle froh sein, dass sie mit heiler Haut davon gekommen wäre. Die Frau kaufte sich für das Geld ein kleines Haus, schaffte sich ein paar Kühe an und brauchte von da an kein Geschirr mehr von Goslar zu holen.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862


1)
Anmerkung Sagenwiki: Zipolle = Zwiebel