Der Unerschrockene und die Hexen

Einstmals in einer wilden stürmischen Nacht, als Hannes den letzten Mahlgang überwachte und sich eben aufs Ohr zur wohlverdienten Ruhe legen wollte, erhielt die Mühle einen seltsamen Besuch und seltsame Gäste. Durch die verschlossenen Türen und Fenster, ja selbst durch die Wände spazierten eine Unzahl kohlschwarzer Katzen herein; sie sahen den Hannes mit glühenden Augen an, sprangen überall umher und schrieen und lärmten und gebärdeten sich, als ob sie allein und Herr im Hause wären. Es waren aber selbstverständlich keine natürlichen Katzen, sondern Gespensterkatzen, verkappte Hexen, die hier in der einsamen Möschemer Mühle ihr Quartier aufgeschlagen hatten.

Schon viele Müller waren von diesen Hexen, die sich als die Eigentümer der Gespenstermühle betrachteten, durch allerlei Streiche vertrieben worden, aber mit dem neuen Müller, dem Hannes, konnten sie nicht fertig werden. Er störte sich einfach nicht an ihren Schabernack und war meist in der Gespensterstunde von 12 bis 2 Uhr nicht wach zu bekommen, denn er schlief wie ein Bock und schnarchte dazu, als ob es gelte, bis zum Morgen einige Klafter Holz zu sägen. Rumorten die Gespenster also, so rumorte unser Hannes sogar schlafend noch mehr, das klang, als ob die Mahlmühle in eine Sägemühle verwandelt worden wäre.

Aber in einer so großen Zahl waren die Gespensterkatzen oder vielmehr Hexen noch nicht gekommen; sie wollten einen letzten Ansturm machen, um ihre Mühle wieder zu erobern. Da wäre ein anderer spornstreichs davon gerannt, hätte die Mühle Mühle sein lassen, und da hätte mahlen können wer wollte in der Gespenstermühle; aber kein ehrlicher Christenmensch mehr hätte sich hineingewagt, und das eben wäre den Hexen recht gewesen, die die Mühle als ihren Tummelplatz ansahen, und der Olligsmüller oben im Tale und der Iversheimer Müller im Erfttale hätten sich ins Fäustchen gelacht, wenn in der Möschemer Mühle keiner mehr mahlen wollte.

So einer war unser Hannes nicht, sonst hätte ihn das Volk nicht den „Unerschrockenen“ nennen dürfen. Er brummte nur über die zahlreichen ungebetenen Gäste und schrie: „Nur fein manierlich, sonst geht es an die Luft, und hier wohne ich jetzt, der Hannes.“ „Und Platz da, das ist meine Mühle“, als eine es sich auf seinem Schemel gemütlich machen wollte.

Der Mahlhannes verließ seinen Posten nicht, mochten sie ihn auch noch so sehr mit ihren glühenden Augen anglotzen, und an ihr jämmerliches Geschrei störte er sich erst gar nicht. Als aber die größte und frechste der Gespensterkatzen - jedenfalls die Oberhexe – ihm oben auf den Zerg [Mahltrichter] sprang und das schwarze Ungestüm ihn von da recht schrecklich anglotzte und wild anfauchte, da wurde ihm die Sache doch zu bunt. Er nahm seinen geweihten Rosenkranz aus der Tasche, den ihn die guten Patres in Münstereifel recht kräftig – wie er es bestellte – gesegnet hatten und schlug damit der auf dem Zerge rechts und links, was gibst du, was hast du, um die Ohren. „So muss man euch kommen, ihr Gesindel! Und gute Nacht bis auf Wiedersehn!“ schrie Hannes der schwarzen Gesellschaft nach, als sie plötzlich unter jämmerlichem Wehegeheul verschwand. Der Hannes war ihnen als guter und frommer Christ mit einem gesegneten Rosenkranz eben über.

Hoffentlich nimmt keine fromme Seele Anstoß an dem seltsamen Gebrauche, den der Mahlhannes vom Rosenkranze machte, der nur zum Beten bestimmt ist. Aber die Geschichte wird so erzählt, und Hannes war jedenfalls einer, der mit der Faust besser auszukommen meinte als mit dem Munde allein. Dann legte sich Hannes aufs Ohr und schlief den Schlaf des Gerechten bis am hellen Morgen.

Den guten Eschweilern aber, die ihn tagsüber aufsuchten, erzählte er das Abenteuer der Nacht, und da war keiner, der die Geschichte bezweifelt hätte. Denn zum Beweise zeigte er ihnen den Rosenkranz, mit dem er die schwarzen Untiere vertrieben hatte. Der Ruhm des unerschrockenen Mahlhannes aber verbreitete sich in der ganzen Gegend. Die Mühle war von da an vor nächtlichem Gespensterbesuche sicher.

Aber wenn auch, wie Mahlhannes versicherte, es in der Mühle seither nicht mehr spukte, so hätte sich bei Nacht doch keiner, selbst nicht einmal einer der tapferen Bürger der Reichsstadt Münstereifel – von den Bauern der Umgegend ganz zu schweigen – in der Nähe der Mühle gewagt. Denn nicht weit davon, dort, wo die badelustige Jugend des Gymnasiums von Münstereifel sich in Ermangelung einer andern Badegelegenheit auf eigene Faust im Eschweilerbach eine Badeanstalt eingerichtet hat, lag in der guten alten Zeit der Hexentanzplatz und gar nicht weit davon auf dem Berge, wo die Flur heute „am alten Gericht“ heißt, war die Richtstätte mit Rad und Galgen und den hingerichteten Verbrechern.

Also immerhin eine unheimliche Gegend; aber was kümmerte der unerschrockene Mahlhannes sich um Hexentanzplatz und Richtstätte, deshalb ging er keinen Fuß breit von seinem Wege ab.

Als er einst spät in der Nacht von der Kirmes in seine einsame Behausung heimkehrte, war gerade auf dem Hexentanzplatz große Hexenversammlung. Von weitem sah Hannes schon die Lichter leuchten und hörte den Spektakel des Hexensabbats, der durch die Stille der Nacht ihm entgegenschallte. Da wäre denn ein anderer in weitem Bogen – um einer Begegnung mit dem Hexen zu entgehen – und dem Tanzplatz herumgegangen oder hätte sogar sofort Kehrt gemacht und Reißaus genommen und keine zehn Pferde hätten ihn zum Hexentanzplatz bringen können.

So einer war der Mahlhannes nicht, er stracks auf die Feuer und den Lärm zu. Und die Hexen begrüßten ihn recht freundlich, denn auch Hexen wissen die Mannestugend der Unerschrockenheit wohl zu schätzen. Da hieß es: „Nun, Gevatter, wo kommt ihr her?“ und sie luden ihn ein, bei ihnen zu verweilen und lustig zu sein. Nicht genug konnte Hannes sich über die Hexenmusik und die seltsame Versammlung wundern, denn da waren Hexen aus der ganzen Umgegend, junge und alte, hässliche und schöne, von denen er viele kannte. Das war ein toller Jubel und ein Tanzen und Springen und wo getanzt wird, da wird auch tapfer getrunken. So braucht es uns also nicht wunderzunehmen, dass die Oberhexe ihm einen guten Trunk anbot. Das ließ sich unser Mahlhannes wohl gefallen.

Aber als die Oberhexe ihm zutrank und ihm den Becher reichte, da konnte Hannes als ein guter Christ es nicht unterlassen, ein frommes Trinksprüchelchen auszusprechen, denn so ganz traute er der Sache doch nicht. Kaum aber hatte er sein „Gesegnet’s euch Gott“ ausgesprochen, also den heiligen Namen Gott genannt, da war mit einem Male der ganze Spuk verschwunden und er vernahm aus der Luft das Wehegeheul der auf den Besen abreitenden Hexen. Statt des Bechers mit einem guten Trunke aber hatte Hannes einen alten Pferdeknochen in der Hand. Die Lichter und Feuer waren erloschen, und nur mit Mühe fand er in der stockfinsteren Nacht, obgleich die Mühle nicht fern vom Hexentanzplatz lag, seinen Weg nach Hause.

Den alten Pferdeknochen aber nahm Hannes als ein wichtiges Beweisstück mit, und jedem, der sich sein nächtliches Abenteuer erzählen ließ, wurde der Pferdeknochen als handgreiflicher Beweis vorgewiesen. Wer hätte aber da noch an der Wahrheit seines Erlebnisses zweifeln können?

Quelle: Pfarrer Krause, Sagenhaftes aus der Chronik von Eschweiler, dem Munde des Volkes nacherzählt; Eifelvereinsblatt, September 1910, Seite 231 und 232; www.sophie-lange.de