Der starke Helmes

  von Dr. W. Capitaine 

Wenn im Wintersturm die Dämmerung einbricht und vom Turm der Pfarrkirche zu Nideggen die Abendglocke in die Täler hallt, dann flüchten auch wohl heute noch die Buben vom Spiel der Straßen schnell nach Hause, und die Mädchen, die beim Wasserholen sich so gern noch manches erzählen möchten, was ihr Herz bewegt, uns was es Neues gibt draußen in der Welt - versparen sich wohl ihre wichtigen Mitteilungen in Erinnerung an die eigenartigen Geschichten aus alter Zeit, an die der Wintersturm und die Dämmerung und die Abendglocke sie erinnert. Und selbst der Bauer, der draußen gearbeitet, bemüht sich, zeitig den Berg hinaufzukommen, denn er weiß, wer in den Wäldern und auf den Bergen nächtlicherweile haust.

Es ist „der starte Helmes„, der nächtlicherweile im Rurtale umgeht. Das ist ein ungeheurer Riese, dem kein Hammer schwer genug und keine Tür groß genug und kein Abenteuer gefährlich genug ist.

Längst ist der Gewaltige dahingezogen, aber er hat so ungeheuerlich in seinem Leben gehaust, dass seine Seele nach dem Tode keine Ruhe finden kann. Und wehe, wem er begegnet, dieser gewaltige Mann, denn der „starke Helmes“ saust in Sturmnächten durch die Wälder um Nideggen herum, er rüttelt und reißt an den Ruinen des alten Nidegger Schlosses, er heult auf der Höhe des Berges und wütet an Felsen und Häusern.

Selbst die alte Dorfkirche kann er nicht in Ruhe lassen. Er fährt im Sturm um sie herum und erschüttert die alten Kirchenfenster so ungestüm, dass die Gläser heftig in dem rostigen Eisen erklirren. Nicht mit Unrecht fürchten die Nidegger den „starken Helmes„, sie kennen ihn ja alle. Und wenn er jetzt noch so furchtbar ist, wie gewaltig muss er im Leben gewesen fein. Er hat ja einst in der stolzen Burg zu Nideggen selbst gewohnt, und in der Kirche in Nideggen liegt er nun begraben.

Sie alle kennen das Grabmal des „starken Helmes“ in ihrer Pfarrkirche. Von alten Leuten haben sie gehört, dass das Grabmal sich früher in der Mitte der Kirche befand, später aber, Ende des 18. Jahrhunderts, wegen Raummangels verlegt würbe. Da sahen die alten Leute die Gebeine, Knochen von ganz ungewöhnlicher Größe, welche noch jetzt Zeugnis von seltener Riesenkraft ablegen. Und diese Riefenüberreste ruhen noch heute unter dem Fußboden der alten Pfarrkirche.

Quelle: Heinrich Hoffmann: „Von Römern, Rittern und ruschigen Juffern“ Zur Volkskunde des Jülicher Landes, Sagen aus dem Rurgebiet; Eifelkalender 1928, Seite 133; www.dilibri.de