Sage des Monats Dezember 2021

Der Stab des heiligen Alderich

  Theodor Seidenfaden

Alderich, eines Frankenfürsten Sohn, verließ in jungen Jahren den väterlichen Hof und die Fülle seiner Feste und Reichtümer, ging im Pilgerkleide nach Rom, wo er an heiligen Stätten die erträumten Wunder der jungen Seele schaute, und kam auf der Rückfahrt, trunken von der Gnade des Erlebten, nach Köln. Wie er dort am Grabe der drei Könige aus dem Morgenlandegebetet hatte, wanderte er auf Zülpich zu und beschloss, nie mehr heim zu gehen, um in fremdem Lande ein Leben Gottes zu führen und immerfort des Herzens reinste Sehnsucht fühlen zu können. So selig schritt er daher, dass ihm der Weg durch die Felder und Wälder, über denen die blaue Freude des Frühlings lag, zu einem Traum von Glück und Frohsinn wurde, dem Engel Geigenlieder spielten.

Während er schritt und sann und schon lange die alte Stadt hinter sich hatte, erreichte er das Kloster zu Füssenich. Dort klopfte er an, wurde Laienbruder und trieb täglich die Schweine auf die Wiesen und in den Wald, obschon ihn bald seine kranke Lunge so sehr quälte, dass die Oberen, denen er die vornehme Herkunft verschwieg, für sein Leben fürchteten und ihn schonen wollten.

Als er eines Tages mit den Tieren – es war im Sommer und hatte wochenlang nicht geregnet – bis fast an den Dirlauer Wald gekommen war, litt er so sehr unter dem Durste, dass er eine Magd des nahen Hofes, die den Schnittern einen Krug Wasser ins Feld trug, um einen Trunk bat. Diese jedoch, ein hochnäsiges Ding, zog die Mundwinkel über den Schweinehirten und meinte, höhnisch an ihm vorüberschreitend: Für ihn sei der Weg zum Brunnen nicht weiter als für sie. Darüber ward er so betrübt, dass er matt hinter seinen Tieren zusammenbrach und in ein heftiges Fieber fiel.

Wie er so lag und nichts mehr sah und fühlte als den Himmel und die Sonne, die dem Feuer gleich in seinem Blut brannte, stand plötzlich in weißem Gewande die Jungfrau Maria neben ihm, lächelte ihn mild an und sagte: Er solle seinen Stab in die Erde stecken, so werde Wasser herausfliessen.

Da er mühselig zwar, doch froh dem Worte folgte, sprang aus der trockenen Erde ein Quell, der frisch und kühl wie ein Bergbach rauschte. Alderich stürzte nieder, hielt die Lippen in das Wasser und trank lange von ihm, worauf er gestärkt ward, dass er den Tieren wieder nachgehen und sie am Abend, da der heiße Tag mit seiner Qual im Purpurbrand versank, zurücktreiben konnte.

Von der Jungfrau sah er nichts mehr, wurde jedoch nachts, da er im Träume mit ihr sprach, in seiner Zelle so schwach, das er erwachte, den Beichtiger kommen lies, seine Sünden bereute und den Tod erwartete, der auch in der Frühe seinen Geist vom Leibe erlöste. Wie die junge Sonne in die Zelle brach, schaute er so mild und gütig aus, als hielte die Jungfrau noch im Tode Zwiesprach mit ihm.

Da an seinem Grabe viele Wunder geschahen und auch die Quelle, von der er vor seinem Tode erzählte, weiter sprudelte, legten sie den Leib in einen schwarzen Marmorsarg, der, wie die Quelle, heute noch in Füssenich zu sehen ist.

Quelle: Heimatblätter der Dürener Zeitung, Nr. 20 Jahrgang 2 , 17.7.1925