Der sächsische Prinzenraub

Der Bruderkrieg hatte in den sächsisch-thüringischen Landen gar übel gewütet. Eine Folge der ordnungslosen Zustände nach dem Bruderkriege ist der Prinzenraub. Der Prinzenraub ist ein wirkliches Geschehnis, 1455 zu Altenburg vorgegangen, aber das sächsische Volk hat an dem Ereignis so herzlichen Anteil genommen, hat es liebevoll mit sagenhaften Einzelzügen ausgeschmückt, hat die große Haupt- und Staatsaktion so oft auf seinen Puppentheatern gesehen, daß die Geschichte auch hier erzählt werden soll.

Wir woll'n ein Liedel heben an,
Was sich hat angespunnen,
Wie's im Pleißnerland gar schlecht bestallt,
Als syn jung'n Först'n g'schach groß Gewalt
Durch den Kunzen von Kaufungen, ja Kaufungen.

Kunz von Kauffungen war ein erprobter und wohlverdienter Kriegsmann im Heere des Kurfürsten Friedrich. Es geschah ihm aber, daß er vor Gera in die Hände der Feinde fiel. Da er die Freiheit über alles liebte, zahlte er ein Lösegeld und wurde frei, dachte, mein Kriegsherr wird mir die Lösesumme wiedergeben. Doch der sagte: „Du hast mir nicht wegen des Lehens oder als Landsasse gedient, sondern wie ein Söldner um Geld. Darum bezahle selber.“ Da wurde der Ritter Kunz zornig, drohte: „Ich werde mich nicht an deinen Leuten rächen und erholen, sondern an deinem eignen Leib und Blut!“ Doch der Kurfürst war ein sanftmütiger Herr, schlug auf die wilde Rede ein Gelächter an und sagte: „Mein Kunz, sieh, daß du mir die Fische in den Teichen nicht verbrennst!“

Doch da sich Kunz immer wilder gebärdete, fiel er in Ungnade und wurde des Landes verwiesen. Da wandte er sich nach Böhmen, wie es die meißnischen Edelleute in einem solchen Falle immer zu tun pflegten. Dort sammelte er bald einen Anhang gegen den Kurfürsten um sich und schmiedete in aller Heimlichkeit seine Pläne.

Der kursächsische Hof wurde damals zu Altenburg im Osterlande gehalten. Im Juli 1455 reiste der Kurfürst nach Leipzig. Das gab ein bestochener Koch, Schwalbe mit Namen, dem Kunz zu wissen. Der traf in der Nacht mit 35 Reitern und 10 Fußknechten in Altenburg ein, erkletterte die hohen Mauern mit Hilfe des Kochs auf Garleitern, die er bei Callnberg gefertiget, und drang in das Schlafgemach der jungen Herren.

Da wacht von dem Getümmel Herzog Ernst auf, das vierzehnjährige Herrlein ruft in seiner großen Angst das alte Hoffräulein, das er von Jugend an gewöhnt: „O Bule, Bule, Kunz von Kauffung ist da und will uns erwürgen. O saget es der Frau Mutter, daß sie uns helfe!“ Doch die konnte nicht kommen und auch die Diener konnten nicht kommen, denn Kunz und seine Gesellen hatten vorerst alle Gemächer von außen verschlossen. Da schrien die jungen Herrlein, zitterten und zageten. Kunz aber tröstete sie, sie sollten nur fein stille schweigen und willig folgen, so wolle er ihnen kein Leid tun.

Dann ergriff er den Herzog Ernst als das ältere Herrlein, befahl seinem Gesellen, dem Wilhelm von Mosen, den Herzog Albrecht nachzubringen. Aber der war unter das Bett gekrochen, und Wilhelm von Mosen führte ein falsches Knäblein fort, den Grafen von Barby, der mit den hohen Herren erzogen wurde. Aber Kunz merkte bald den Irrtum, ging wiederum über den Schloßhof in die Kammer und holte den rechten Herzog. Da war die Kurfürstin durch das Lärmen wach geworden, erkannte vom Fenster aus den Ritter und schrie: „Lieber Kunz, tue nicht so übel an mir und meinem Herrn. Es sollen alle deine Sachen noch gut werden!“ Aber der hat sich an die sehnliche Bitte der Mutter ganz und gar nicht gekehrt, sondern beide Fürsten davongeführt und den Raub mit seinen Gesellen auf diese Weise geteilet: Er selbst hat den jüngern Herzog Albrecht behalten, dem von Mosen und Schönfels hat er den andern gegeben.

Nun war auf dem Schlosse zu Altenburg ein groß Heulen und Wehklagen. Und unter den Hofleuten ist groß Schrecken und Furcht entstanden, denn mancher unter ihnen hatte seinem Amte nicht treulich nachgelebt. Und ist dem Kurfürsten mit eilender Post gen Leipzig die Tat zu wissen getan worden. Und die Hofleute haben nicht länger gesäumt, sind ausgeritten und haben den Sturmschlag in allen Städten und Dörfern angehen lassen. Da sind die Glockenschläge wie Wind durchs Land gelaufen und haben das ganze Land rege gemacht. Sind auch den tollkühnen Rittern nachgegangen und zu ihren Ohren gekommen.

Kunz von Kauffungen hatte das junge Herrlein auf ein Handroß gesetzt, führte ihn durch Nacht und Nebel stracks nach dem Lande Böhmen zu. Als sie in die Gegend von Elterlein gekommen, ist es Mittag gewesen, und das Herrlein hat gar großen Hunger und Durst verspüret. Hat gesagt: „Wenn ich nicht Essen und Trinken habe, so muß ich krank werden und kann nicht weiter.“

Solches besorgte sich Kunz auch, weil er ihn von Mitternacht bis Mittag auf einem ziemlich harttrabenden Rosse geführt hatte. Deswegen behält er nur einen Reiter bei sich, schickt die andern voraus, und will dem jungen Herrn in Mangel andrer Speise Erdbeeren brechen. Indem nun Kunz und das Herrlein also Beeren pflücken, kommt ein Köhler zu ihnen. Der sieht, daß Kunz ein Panzerhemd an hat und ein Roß an der Hand führt, auch daß der Knabe schön, zart und adeliger Gebärde ist. Deswegen dünkte es ihm, es müsse nicht recht zugehen, und fraget trotzig, wie es der Wäldler Brauch ist, von wannen er mit dem Knaben komme und wohin er mit ihm hinaus wolle. Darauf antwortet ihm Kunz, es sei ein böser Bube, der seinem Herrn entlaufen, den müsse er wieder heimbringen.

Wie sie aber ein wenig miteinander fortgehen, fällt Kunz in dem Gestrüpp von Beerensträuchern, darinnen er mit seinen langen Sporen hängen blieb, und konnte wegen der schweren Rüstung und weil er das Roß nicht wollte fahren lassen, nicht bald wieder aufkommen. Da er nun also liegt, spricht das Herrlein heimlich zum Köhler: „Ich bin ein Fürst von Sachsen, mache mich los, mein Vater soll dir's wohl vergelten.“ Sobald der Köhler solches vernommen, hat er auf Kunzen mit seinem Schürbaum losgeschlagen und hätte ihn wohl abgedroschen, wenn nicht das Herrlein für ihn gebeten hätte.

Da ist Kunzens Geselle geflohen, aber des Köhlers Hund ist so laut geworden, daß des Köhlers Weib aus dem Kohlkram herbeigelaufen ist, um zu sehen, was da wäre. Und da sie denkt, es sei ein Räuber, gibt sie alsbald ein Zeichen wie es bei den Wäldlern üblich ist: sie schlägt mit einem Zschörper oder großem Messer auf eine Holzaxt. Hierauf laufen alle Köhler zusammen, kommen mit ihren Aexten und Schürbäumen, nehmen Kunzen gefangen und führen ihn mit sich in einen Kohlkram. Dort geben sie dem Herrlein klares Wasser und schwarzes Brot, bringen den Kunz und das Herrlein zum Abte von Grünhain.

Da ist es durch das ganze Land froh erschollen, daß man den jungen Fürsten wiederhabe. Und auch Kunzens Spießgesellen, der von Mosen und der von Schönfels, haben die Nachricht in ihrem Verstecke gehört. Sie hielten sich im Walde bei Schloß Stein an der Mulde unterm Schneeberg verborgen. Da haben sie in ihrer Angst an den Hauptmann von Zwickau geschrieben. Wenn er ihnen bei dem Kurfürsten Gnade erlangen wolle, daß sie Leibes und Gutes könnten gesichert werden, so wollten sie den andern Herrn auch freiwillig wiederbringen. Der hat ihnen beides zugesagt.

Da sind sie zum Herrn Veit von Schönburg auf Hartenstein gegangen und haben den Prinzen eingeliefert. Da ist ein Frohlocken im ganzen Lande gewesen, als die Herrlein wieder gen Altenburg gebracht wurden. Da wurde ein großes Freudenfest gehalten und in allen Kirchen öffentliche Danksagung getan. Und der sächsische Hof machte eine Wallfahrt nach der Ebersdorfer Kirche bei Chemnitz, und der Kurfürst ließ daselbst die Kleider der beiden jungen Herrlein, so sie bei ihrer Entführung angehabt, wie auch des Köhlers Kittel und Kappe, aufhängen.

Aber während der jubelnde Festlärm durch das Land ging, verlor zu Freiberg ein erprobter und wohlverdienter Kriegsmann, Herr Kunz von Kauffungen, durch den Scharfrichter auf öffentlichem Markte sein Leben.

So geht's, wer wider die Oeberkeit
Sich unbesonnen empöret;
Wer es nicht meynt, der schau an Kunz'n:
Seyn Kop thut zu Freyberg noch 'runter schmunz'n
Und jedermann davon lehret, ja lehret!

Sage des Monats März 2021

Quelle: „Deutscher Sagenschatz“ von Dr. Paul Zaunert. Verlag: Eugen Dieterich, Jena; Erzgebirgische Heimatblätter Nr. 28 - Sonntag, den 10. Juli 1927, S. 1; www.erzgebirgische-heimatblaetter.de