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Der Hackeklotz

Ein Handwerksbursche, der zwar arm, dabei aber höllisch dreist war, kam in eine Stadt, da sollte der neue Herzog gekrönt werden. Das wollten viele Leute sehen und die Stadt war deshalb vollgestopft von Menschen, auch in keiner Herberge noch ein einziger Platz übrig. Unser Handwerksbursche ging von einem Wirtshaus ins andere, konnte aber kein Unterkommen finden. Nun wollte er noch zu einer Herberge hin, die ganz am Ende der Stadt lag. Er ging betrüb die Straße hinab, da begegnete ihm ein kleiner Mann, der war sehr freundlich und fragte, warum er so traurig wäre. Der Handwerksbursche sagte, er könne keine Herberge kriegen, alles wäre so voll, dass ihn kein Wirt behalten wolle. Nun solle dort unten vor dem Tor noch ein Wirtshaus sein, da wolle er sein Heil versuchen.

Ach, so sprach der Mann, das solle er nur lassen. Ob er nicht mit ihm gehen und bei ihm bleiben wolle. Für ein gutes Abendbrot und auch eine gute Schlafstelle solle er nicht sorgen, die solle er haben.

»Ja«, sagte der Handwerksbursch, »das ist es ja gerade, was ich nur will. Morgen geht’s weiter. Was kümmert mich die Krönung, ich kriege doch nichts davon.«

Er ging also mit dem kleinen freundlichen Mann. Unterwegs sprach der, morgen käme er aber noch nicht wieder weg, denn er hätte viel im Willen mit ihm. Wenn er wolle, so könnte er hier ein wunderschönes neues Haus ganz für umsonst kriegen.

»Das wird einem nicht immer geboten«, sagte der Handwerksbursche, »an mir soll′s nicht liegen, wenn′s nichts wird.« So kamen sie miteinander zum Haus. Der Wirt ließ gleich auftragen, was gibst du, was hast du. Auch Wein und Bier, so viel der Gast trinken will. Der tat sich natürlich recht, und der freundliche kleine Mann erzählte ihm dabei, dass er draußen vor dem Tor ein wunderhübsches Haus besäße, das hatte er von seiner alten Base geerbt. Das wäre so wundervoll inwendig und auswendig und läge in einem Garten, der wäre wie ein Paradies. Das Schlimmste dabei wäre, dass niemand des Nachts darin bleiben könnte; es spukte darin. Des Abends und des Nachts wage sich keiner hin, er selbst auch nicht. Ob er das wohl erlösen könnte, fragte er den Handwerksburschen.

Ach, sagte dieser, das wären ja Narrenspossen, Spukerei gäb′s nicht, und Erlösen wär nicht nötig. Das würde wohl alles natürlich zugehen. Wenn′s da was gesetzt hätte, und die Leute heraus gejagt worden wären, oder hätte ihnen einen Denkzettel gegeben, so wären das gewiss Spitzbuben, die das getan hätten. Das sollte er nicht sagen, sprach der Wirt, manchem hätte es schon das Leben gekostet und nun ginge keiner des Nachts dahin, viel weniger ins Haus. Wenn er, der Handwerksbursche, das tun wolle und drei Nächte darin kampieren, so verspräche er ihm das Haus, wie es da wäre und mit allem, was dazu gehöre. Sie schlugen ein, d. h. sie gaben sich die Hand darauf. Der Handwerksbursche wollte gleich noch hin, der Wirt solle ihn nur hinbringen.

Der wollte aber nicht und sprach: »Morgen, wenn′s Tag ist, wollen wir erst einmal miteinander hin und uns die Geschichte ansehen. Dann müssen doch auch Sachen hingebracht werden, denn das Haus ist ganz leer. Es ist auch nicht einmal ein Stuhl darin.«

Damit war der Handwerksbursche zufrieden und ging dann zu Bett, schlief wie ein Türke und träumte schon von dem schönen Schloss, das er haben sollte. Des Morgens darauf stand er auf, frühstückte mit seinem Wirt und danach gingen sie miteinander zu dem verwünschten Haus; denn verwünscht war es gewesen, wie es sich nachher gezeigt hatte.

Der kleine Mann schloss auf, sie gingen hinein, durch alle Stuben und Kammern unten und oben, in die Küche, Speisekammer und den Keller, besichtigten alles. Auch durch den Stall gingen sie. Es war aber alles leer, dabei alles gut und ordentlich eingerichtet. Als sie alles gesehen hatten, suchte sich der Handwerksbursche eine Stube aus, obenauf, mit einer Tür, war auch hübsch groß gewesen. Er sagte zu seinem Wirt, ob er nun so gut sein wolle und für ihn ein Bett, einen Tisch und Stuhl, ein Licht und ein Buch herbringen lassen. Das Buch müsste aber gut gehen, damit ihm die Zeit nicht zu lange daure. Das wurde auch alles am Tag hingebracht. Unterdessen blieb der Handwerksbursche, es war ein Schneider gewesen, bei seinem Wirt und lebte den Tag krötenvergnügt und puppenlustig. Sie gingen auch miteinander aus in die Wirtshäuser, und der kleine Mann ließ sich′s ordentlich was kosten.

Des Abends, als sie auch erst gehörig vorgelegt hatten, und der Schneider sich dick stempel vollgegessen und getrunken hatte, ging er zum verwünschten Haus, schloss auf und machte sich in sein Zimmer. Hier setzte er das Bett, den Tisch und Stuhl mitten in die Stube, zog mit Kreide einen Kreis um die Sachen, schloss dann die Tür dicht zu, nämlich die Haustür vorn und hinten; ebenso die Tür zu seiner Stube. Alles war ruhig im Haus, es ließ sich nichts hören und sehen darin. Als er nun alles noch einmal durchgegangen hatte, ob es in Ordnung war, setzte er sich an seinen Tisch auf den Stuhl hinein in den Kreis, holte sein Buch vor und fing zu lesen an. Es war ein hübsches Buch gewesen, das von Gottvertrauen und vom Beistand Gottes in der Not gesprochen hatte. Daran erbaute er sich recht und las und las, bis es elf schlug. Da hörte er auf einmal ein Gehen und Laufen draußen auf dem Vorsaal, die Treppen auf und nieder, als ob die Bediensteten recht eilig zu tun hätten. Er hörte das Feuer in der Küche knädern und knacken, auch Kutschengerassel vor der Tür und im Hof, aber kein Wort. Es ging alles so geheimnisvoll, so geisterhaft, so recht gespensterhaft zu. Das war ihm denn doch nicht einerlei, er blieb aber auf seinem Stuhl vor dem Tisch im Kreis sitzen und dachte: Wenn dir′s nur vom Halse bleibt.

Das dauerte so hin bis halb zwölf. Da prellte mit furchtbarem Gekrach gegen die Stubentür, dass sie aufflog. Und dann kamen sieben Männer herein, einer hatte noch immer schlimmer ausgesehen als der andere, mit gefährlichen Prügeln in den Händen und stellten sich um den Kreis herum, in dem der Schneider saß. Alle glotzten ihn an, als wollten sie ihn mit den Augen durchbohren. Die Knüppel hatten sie hoch erhoben, doch standen sie still und so blieben sie stehen bis es zwölf schlug. Mit dem letzten Schlag war kaum der Letzte zur Tür hinaus, so schlug die Tür auch wieder zu, und alles blieb still, wie′s vor elf gewesen war. Der Schneider erholte sich erst von der Angst, denn es hatte ihm an jedem Haar ein Tropfen Schweiß vor Angst gehängt. Er hatte natürlich gemeint, die sieben wollten ihn totschlagen. Wie′s halb eins war und alles ruhig blieb, legte sich der Schneider ins Bett und schlief wie ein Ratz. Des Morgens, kaum graute der Tag, da kam auch der kleine freundliche Mann und wollte sehen, ob er noch am Leben wäre. Als er ans Haus klopfte, guckte oben aus dem Fenster der Schneider froh und wohlgemut.

»Na, wie ging′s diese Nacht«, rief der von unten.

»Recht gut«, der von oben.

Nun wurde aufgeschlossen. Der Schneider musste mit dem Kleinen nach Hause. Da wurde tüchtig gefrühstückt, und dabei fragte der Wirt, was in der Nacht dem Schneider passiert wäre. Der Schneider sagte, er glaube, es wäre besser, wenn er nicht eher etwas davon sage, bis alles vorbei sei.

Das hielt der Kleine auch für gut. und so wurde nicht weiter danach gefragt und nichts davon gesagt. Der Schneider war ganz lustig und dachte: Du sollst dir′s heute noch zu gute machen, morgen lebst du vielleicht nicht mehr, denn gräulich ist die Geschichte doch.

Der Abend kam wieder heran. Der Wirt ließ das Schönste und Beste auftragen, der Schneider holte tüchtig davon zu und um zehn ging er hin zu seinem Nachtquartier. Diesmal war ihm aber doch etwas mehr Angst ums Herz. Er hat’s aber angefangen, nun wollte und musste er es auch vollenden. Oben auf seiner Stube zog er noch einen Kreis um den ersten mit Kreide, steckte sein Licht an, holte sein Buch hervor, setzte sich hin und las. Es ging alles akkurat so wie den Abend zuvor zu. Nur, als die Tür aufsprang, brachten vier einen Sarg herein, nahmen den Deckel ab, setzten den dabei hin. In dem Sarg lag ein wunderhübsches Mädchen und war tot. Das blieb liegen bis dreiviertel auf zwölf, dann richtete es sich im Sarg auf, sah ihn so freundlich an, als ob es sagen wollte, erlöse mich doch und streckte die Hände nach ihm aus. Der Schneider aber blieb ruhig sitzen und sah das arme Mädchen an.

Keiner sagte ein Wort. Wie es bald zwölf war, legte sich das Mädchen wieder im Sarg zurecht, die vier legten den Deckel auf den Sarg und gingen damit zur Tür hinaus. Da schlug die Tür von selbst zu, dass das ganze Haus bebte. Dann war alles still. Die Geschichte war aber dem Schneider nicht so fürchterlich gewesen als am Abend zuvor. Er hatte das arme Mädchen bedauert, sich aber nicht geängstigt. Deshalb ließ er doch aber das Licht brennen und legte sich zu Bett. Natürlich schlief er wieder wie ein Türke. Des Morgens holte ihn sein Wirt wieder ab und wunderte sich nicht wenig, dass der Schneider noch lebte; denn in der zweiten Nacht waren die Vorigen meistens tot gemacht, die sich in das Haus wieder gewagt hatten. Beim Frühstück sagte der Wirt, zwei Nächte hätte er glücklich hingebracht, die dritte aber wäre die schlimmste, da wäre noch keiner davongekommen.

»Oh«, sagte der Schneider, »mir tut niemand etwas. Ich habe ein gutes Mittel, das ist gegen Hölle und Teufel gut.«

Der Wirt sagte darauf, wenn er, der Schneider, morgen früh noch lebe, so gehöre ihm das Haus.

Nun gut. Der dritte Tag ging auch hin, und dem Schneider wurde nicht wohl zu Mute, als es anfing, dunkel zu werden. Das schöne Abendessen wollte dieses Mal nicht rutschen. Er war verstimmt, tat sich′s aber nicht aus.

Um zehn reichte er seinem Wirt die Hand und sprach: »Lebt wohl, wenn ich umkomme, so wisst ihr, dass ich nicht feige gewesen bin.« Der Wirt empfahl ihm Gottvertrauen und Mut.

Und so machte sich der Schneider fort und machte einen dritten Kreis um die beiden ersteren und setzte sich hinein. Dies ging auch wieder alles so, wie die vorigen Abende. Nur wie die Tür aufsprang, da brachten zwei einen Hackeklotz. Dann kamen noch ein alter Mann und eine alte Frau herein. Die Frau hatte eine große, schwarze Katze unterm Arm, die immer fort wollte, aber nicht kann, dann aber den Schneider mit ihren großen Augen anguckte, als ob sie ihn zerreißen wollte.

Der Mann hatte aber ein blankes, scharfes Hackebeil in der Hand und kam auf den Schneider zu.

Das wird aber arg, nun geht′s dir an den Kragen, dachte der Schneider, und der Angstschweiß floss ihm von der Stirn. Doch bewegte er sich nicht von seinem Platz. Diesmal, wie sonst, blieb alles außer den Kreisen. Der Hackeklotz aber und der Mann mit dem Beil standen dicht neben ihm. Endlich winkte ihm der Mann, er solle das Beil hinnehmen.

Der Schneider dachte: Tust du′s oder tust du′s nicht! Und ging erst lange mit sich zu rate. Endlich nahm er das Beil hin und meinte, dann kann dich der doch nicht damit totschlagen.

Kaum hat er′s hingenommen, so fasste der Mann die schwarze Katze beim Kopf, die Frau fasste sie an die Hinterbeine und legen sie auf den Hackeklotz. Die Katze wehrte sich, biss und kratzte, was das Zeug halten wollte. Es half aber nichts, sie kam nicht los. Da winkte der Mann dem Schneider, er solle der Katze den Kopf abhacken. Da war er denn nicht faul. Bauz! Da lag der Kopf. In dem Augenblick aber war auch der Schneider vor Schreck zur Erde gestürzt, denn es war ihm gewesen, als ob ihm auch der Kopf vom Rumpf geschlagen worden wäre.

Als er ein wenig wieder zu sich kam, hörte er so dumpf ein Laufen und Rennen um sich, viele Leute standen um sein Bett. Er fühlte, dass der Arzt seine Hand hielt und den Puls untersuchte. Alles war ihm ein Wirrwarr, so kurios. Endlich schlug er die Augen auf. Sein erstes ist, was er erblickt, das hübsche Mädchen, das im Sarg gelegen hatte. Die stand vor ihm und küsste seine Hand, nachher auch seine Stirn und nannte ihn ihren teuren Retter. Der alte Herr und die Dame waren auch da im Zimmer, Diener standen an der Tür, und der Doktor saß vor ihm am Bett und wünschte ihm Glück dazu, dass er wieder erwacht sei. Alles war um ihn herum verwandelt, alles erlöst. Das Haus ward nun ein prächtiges Schloss und alles bewegte sich so, wie er es in den Nächten gehört hatte. Das junge Mädchen war ein Edelfräulein, die Alten die Eltern von ihr. Kurz, alles war wieder so wie vor der Verwünschung, die eine Hexe getan hatte und der nun durch den Schneider der Kopf abgehauen worden war.

Der kleine freundliche Mann kam danach auch und freute sich, dass das Wagestück gelungen war und schenkt dem Schneider das Haus. Das junge Mädchen wurde seine Braut und nicht lange danach seine Frau. Da war aus dem Schneider ein reicher, vornehmer Edelmann geworden, der alle Tage in Kutschen und Karossen hat fahren können, und er war der glücklichste Mann gewesen, den es hat geben können. Auch hatte er die Alten bei sich behalten, bis sie gestorben sind. Natürlich war der kleine freundliche Mann sein bester Freund geblieben bis an sein Ende. Das brachte der Mut zuwege.

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