Der Grafensprung

I

Graf Wolf von Eberstein, Schlossherr von Schloss Eberstein, war einer der tapfersten Ritter seines Geschlechts. Nichts liebte er mehr als ein Kampf und Streit; nichts war ihm mehr zuwider als untätiges Verweilen auf Eberstein. So zog er sich bald den Zorn des Grafen Eberhard von Württemberg zu. Es kam zur blutigen Fehde, in der Wolf den Württemberger zu Wildbad überfiel und ihn in gar arge Bedrängnis brachte. Diesen Überfall musste Wolf büßen.

Geraume Zeit darauf weilte Wolf bei seinem Bruder auf Schloss Eberstein. Eberhard nahm die Gelegenheit wahr und umzingelte das Schloss. Als Wolf am frühen Morgen ausreiten wollte, fand er jeden Zuweg besetzt. Augenblicklich bestürzt, ritt er unter Hohngeschrei seiner Feinde nach Eberstein zurück. Von hier aus sprengte er neuen Mutes voll, den steilen Pfad, der auf den Felsen hoch über die Murg führt, hinab.

Die Feinde jubelten schon, ihren Gegner nun mehr gefangen zu haben. Doch zu früh! Wolf drückte seinem Hengst die Sporen in die Weichen und mit mächtigem Sprung setzte das Tier in die Murg hinab. Ross und Reiter kamen schadlos unten an - Wolf war gerettet. Selbst die Feinde bewunderten eine solche Heldentat und zogen ab. Eberhard schloss Frieden mit Wolf und fand später im Ebersteiner einen starken Verbündeten.

Quelle: www.Weisenbach.de

II

An einem herrlichen Herbsttage fanden sich bei Graf Wolf die benachbarten Ritter und Vassalen zu frohem Feste auf Eberstein ein. Glänzende Ritterspiele und ausgiebige Jagd schaffte rechte Stimmung. Am Nachmittage vereinte man sich zum Festgelage im großem Rittersaale. Der köstliche Tropfen - Eberblut - schuf angeregte Stimmung. Die Herren leerten Humpen auf Humpen, da rief Wolf in die Schar der Zecher: „Wer wagt es, das Riss hinab und wieder herauf zu reiten?“. Die Ritter hielten solches Wagnis für unmöglich. Wolf aber ließ seinen Schimmel satteln und ritt trotz Warnung und Bittens seiner Freunde, Schritt für Schritt, den kahlen Felsen hinab, und kam glücklich unten an. Lauter Beifall tönte diesem kecken Ritter nach.

Der von Windeck rief hinab: „Nun Wolf, jetzt wieder den gleichen Weg hinauf.“ Der Graf wandte in der Murg um und trieb das treue Pferd die jähe Felswand hinauf. Fast erstiegen, überschlug es sich - und stürzte samt dem Reiter in die Tiefe. Voll Schrecken sah man den Vorfall vom Schlosse aus mit an. Als die Landsknechte unten ankamen, lagen Wolf und sein braver Schimmel zerschmettert hart am Ufer der tosenden Murg.

Quelle: www.Weisenbach.de

III

Wolf von Eberstein war in Fehde mit Graf Eberhard von Württemberg. Dieser rückte mit großer Herresmacht gegen die Burg Alt-Eberstein und zerstörte dieselbe. Der Besiegte machte hierauf den Anschlag, den Würtemberger im Wildbade zu überfallen und gefangen zu nehmen. Dieser Plan aber scheiterte und Wolf wurde in die Reichsacht gethan. Er flüchtete nun auf das Schloß Neu-Eberstein, wo man ihm freundlich eine Freistätte bot. Sein Aufenthalt daselbst blieb jedoch nicht lange verborgen und er mußte abermals sein Heil in der Flucht suchen.

Er wollte um die Morgendämmerung das Schloß verlassen und saß bereits wohlbewaffnet auf einem raschen Pferde. Allein die Feinde hatten über Nacht alle Ausgänge am Fuße des Berges bis an die Murg besetzt, die unten an der jachen Felsenwand vorbeirauscht. Der letzte Weg zur Rettung schien dem Geächteten jetzt vollends abgeschnitten, doch war er entschlossen, lieber sich selbst den Tod zu geben, als lebendig in die Hände seiner Verfolger zu gerathen. Rasch lenkt er sein Pferd auf die steil über den Fluß hinausragende Felsenkuppe und sprengt es mit einem gewaltigen Spornstreich in den schäumenden Abgrund hinunter.

Wie durch ein Wunder aber bleibt er selbst ungefährdet, nur sein Roß versinkt mit zerschmetterten Beinen in der Tiefe, während er sich glücklich an's jenseitige Ufer und von dort in das Hoflager seines Pfalzgrafen rettet. Die Stelle auf dem Felsen oben, von der aus er sich die Fluthen hinabschwang, heißt noch heutigen Tages der Grafensprung.

Quelle: wikisource

IV

Eine andere Sage berichtet: Ein Graf von Eberstein hatte eine wunderschöne Tochter. Eine Menge vornehmer Herren stellte sich auf dem Schlosse ein, um ihre Hand zu werben; da lud sie der Graf sämmtlich eines Tags zu einem Gastmahl ein, wobei es hoch herging und auf's Tapferste gezecht wurde. Endlich, als Alle des süßen Weines voll waren, sprach er lächeld zu seinen Gästen: „Wer von euch, ihr Herren, keck und glücklich genug ist, die jähe Felsenwand hier bis an die Murg hinabzureiten, dem soll die Hand meiner Kunigunde und mit ihr ein reicher Brautschatz zu Theil werden!“ - Die Herren sahen sich einander verdutzt und bedenklich an, als dächte Jeder bei sich: „wer hat Lust, den Hals zu brechen? Ich nicht!“ - Nur ein junger tollkühner Edelknabe, von glühender Liebe zu Kunigunde entflammt, unternahm das entsetzliche Wagestück; doch sein Pferd glitt aus, noch bevor es ein Drittel des Weges zurückgelegt hatte, und beide stürzten zerschmettert in die Fluthen der Murg.

Quelle: wikisource