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Der beste Schuss

Es war einmal ein Bergmann, der schoss gern und konnte auch gut schießen. Nun war Freischießen in Goslar und da wollte er auch einmal sein Heil versuchen, ob er den reichen Goslarschen einige Taler dabei abnehmen könne. Vorzüglich lag ihm daran, den besten Schuss zu tun und dann die Ehre davon zu haben, denn den besten Gewinn konnte er nach den Schützenregeln als Fremder nicht bekommen. Er nahm also sein Gewehr vom Nagel, hatte es vorher hübsch geputzt und rein gemacht, dass es nur so blitzt und blinkert und damit fort.

Als er auf die hohle Kehle kam, damals war der Weg noch schrecklich schlecht gewesen, so saß da ein alter, schwacher Mann und schwitzte und ruhte sich aus. Dabei war er ganz zerlumpt, und die bloße Haut guckte hier und da durch sein dünnes Zeug. Die greisen Haare hingen unter seinem alten Hut vor, und die Hand und das Gesicht waren ganz abgezehrt.

»Ach«, sagte dieser Alte, »lieber Mann, gebt mir doch, um Gotteswillen, ein Almosen.«

Der Bergmann hatte ein gutes Herz, er griff in die Tasche und gab ihm die Hälfte von seinem ganzen Geld, wofür er zwei Sätze schießen wollte. Der arme Mann schien vor Freude stumm zu werden und dankte recht herzlich für das große Geschenk, dabei sagte er: »Ihr seid ein Schütze und wollt hinunter nach Goslar zum Schützenhof und mit schießen. Ich weiß es. Hier nehmt dies Gläschen und wenn ihr schießen wollt, so gießt daraus 3 Tropfen auf das Visier.«

Dann ging er fort und der Bergmann nach Goslar. Als er nach Goslar kam und eben schießen wollte, holte er erst sein Gläschen hervor und goss 3 Tropfen aufs Visier, legten dann an. O Wunder, er hatte nun die weite Scheibe ganz dicht vor sich, sodass er nur auf den Nagel zu halten brauchte. Als es knallte, tanzte der Scheibenweiser und wollte gar nicht fertig werden. Der Bergmann hatte mitten auf den Nagel getroffen und den besten Schuss. So ging es mit jedem Schuss und er nahm ein ungeheures Geld mit nach Hause und hatte auch die Ehre, den besten Schuss getan zu haben. So hatte er mehr auf den einen Satz, als er sonst auf zwei gehabt hätte. Darnach nahm er sein Gewehr auf die Schulter und ging mit vollen Taschen wieder nach dem Harz.

Als er auf die Stelle kam, wo der Alte gesessen hatte, da saß er wieder und fragte: »Na, wie ist es gegangen?«

»Recht gut«, sagte der Bergmann.

»Jetzt müsst ihr mir aber mein Fläschchen wiedergeben.«

»Jawohl«, sagte der Bergmann, holte es aus der Tasche und reichte es gleich dem Alten hin. Auch bedankte er sich dabei und sagte, so etwas hätte er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen und erlebt. Das wäre ein köstliches Wasser. Wenn er das immer hätte, so sollte es nicht lange dauern und er wollte sich bald so viel zusammen schießen, dass er der reichste Mann würde.

Darauf sagte der Alte: »Weil du das Glas gleich so gutwillig mir wiedergeben willst, da du doch weißt, was es für einen großen Wert für dich hat, so sollst du es ganz behalten. Damit du aber weißt, wozu es noch gut ist, so habe ich dir noch nicht alles gezeigt und gesagt, was man damit erzielen kann. Sieh!« Hier nahm er einen breiten Schieferstein auf, goss drei Tropfen aus dem Glas darauf und in dem Augenblick war der Stein in ein eben so großes Stück Silber verwandelt, das er dem Bergmann hinreichte.

»So kann man es auch gebrauchen. Das nimm zur Belohnung für deine Mildtätigkeit und gebrauche es ordentlich, aber missbrauche es nicht, sonst ist es dir unter den Händen weg.«

Der Bergmann drückte dem Alten die Hand und in dem Augenblick war dieser verschwunden. Ganz überglücklich ging der Bergmann nach Hause, brauchte das Glas nach der Vorschrift und ist so nach und nach zum reichen Mann und zum berühmtesten Schützen auf dem ganzen Harz geworden.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862