De schef Schnüss von der Olligsmühle

Alle Menschen ohne Ausnahme besitzen die an und für sich nicht schlechte Eigenschaft der Neugier. Ein unverschämt neugieriger Patron aber schien der neue Besitzer der Olligsmühle am Oberlauf des Eschweiler Bachs zu sein, der aus fremdem Lande kam. Die Sage meldet nicht, wie, wann und von wo er in das schöne Eschweiler Tal gekommen war.

Den lieben langen Tag stand er in der ersten Zeit breitbeinig in der Türe der Mühle und musterte jeden Vorübergehenden von oben bis unten, als ob er sonst nichts zu tun hätte oder er streckte wenigstens seinen Glatzkopf aus dem Fenster, wobei ihm aber auch talauf und talab nichts zu entgehen schien. Er verstand es meisterlich, die Leute bis aufs Hemd, wie man zu sagen pflegt, auszuhorchen und auszufragen, so dass er sich rühmte, die Geheimnisse der ganzen Gegend – und darunter verstand er die Schlechtigkeiten und Armseligkeiten, worüber jeder gute Christ den Mantel der Liebe deckt - zu kennen.

Einst kamen zwei Nachtvögel spät von der Kirmes in Münstereifel an der Mühle vorbei. Als er ihnen nach seiner Gewohnheit neugierig nachschaute, blieben die beiden ärgerlich stehen und glotzten ihrerseits den Müller an. Dabei rief der eine: „Es ist doch kurios, dass wir jetzt zwei Monde im Eschweiler Tale haben.“

Kaum war diese Anspielung auf die Glatze des Müller dem Gehege der Zähne entflohen, da ergoss sich über die beiden eine solche Flut von nie gehörten Schimpfwörtern und Flüchen, dass sie es vorzogen, eiligst zu verduften und allenthalben erzählten, der Olligsmüller sei jedenfalls nicht auf den Mund gefallen, denn er könnte schimpfen wie kein zweiter.

Am andern Morgen lief der Besitzer des „zweiten Mondes“ schnurstracks nach Münstereifel, und vom Torwächter nach Woher, Wohin und Begehr gefragt, gab er an, eine Perücke kaufen zu müssen; nämlich von wegen der hiesigen nichtsnutzigen Leute, aber eine alte abgelegte täte es ihm auch von wegen der größeren Billigkeit. Da wies ihn denn der Wächter zum Moses Levi an der Werkbrücke. Bei diesem Händler in alten und neuen Sachen erstand er nun um einen Reichstaler eine noch stattliche Perücke, die einstmals das weise Haupt eines Ratsherrn der hoch vermögenden Hauptstadt Münstereifel geziert hatte und von jetzt an mit ihrer Lockenfülle seine Glatze mitleidig zudeckte. Davon, nämlich von der Perücke, bekam er den Namen „Perückenhannes“. „Hannes“ aber nannte man ihn, weil sämtliche Besitzer der Olligsmühle seit alten Zeiten gemäß Überlieferung „Hannes“ geheißen; gleichgültig, ob sie nun wirklich so hießen oder nicht. Die lange Reihe der Hannes wurde nur durch besondere Beinamen unterschieden, was sich gelehrte Geschichtsforscher für genealogische Untersuchungen merken mögen.

Mit der Zeit aber wurde „Perückenhannes“ in der näheren und weiteren Umgebung noch unter einem andern Namen weithin bekannt und berühmt. Und das kam so: Er gehörte nämlich zu jenen bedauernswerten Menschenkindern und vermeintlichen Weltverbessern, die mit dem Grundübel behaftet sind, sich um alles und jedes zu bekümmern, absonderlich um Dinge, die sie gar nichts angehen, nur nicht um ihre eigene Armseligkeit, womit doch jeder Mensch genug zu tun haben sollte. Diese unglückseligen Dunkelmänner sehen überall nur Finsternis, weil sie eben selbst davon voll sind; für das Gute in dieser schönen Gotteswelt haben sie weder Sinn noch Verstand. So kam es, dass sein Tagewerk im Schimpfen und Lästern über die Schlechtigkeit der ganzen Welt bestand. Er schimpfte über alles und jedes, selbst über die hohe Obrigkeit lästerte er ohne Aufhören. Mit nichts war er zufrieden, kein Mensch, nicht einmal der liebe Gott, konnte ihm etwas recht machen. Überall sah er nur Schlechtes und Gemeines, denn daran hatte sein schwarzes Herz eine besondere Freude.

Leichtfertige Menschen machten sich nicht selten den Spaß, ihm allerlei aufzubinden; es versteht sich nur nichts Gutes, denn daran glaubte er grundsätzlich nicht. Dann lief er stundenweit, um das Vernommene, das ein anständiger Christ nicht einmal anhören mochte, mit boshaften Zusätzen weiter zu tratschen. Dabei kam es ihm, wie es die Art dieser heillosen Schwätzer ist, auf einige Lügen mehr oder weniger gar nicht an. Ein besonderes Vergnügen bereitete es ihm auch dabei, wenn er durch seine bösen Reden unter friedfertigen Menschen Streit und Zank stiften konnte. Als eine gerechte Strafe des Himmels bekam er vor allem bösen Reden und dem immerwährenden lästerlichen Schimpfen zuletzt einen schiefen Mund.

Der zartsinnigen Ausdrucksweise des Volkes gemäß hieß er nun das „Schiefmaul“ oder „Schef Schnüss“. Weil aber nur Bosheit, wovon sein Herz übervoll war, daraus hervorkam, war er bald weit und breit unter dem Namen des „bösen Schiefmauls von Eschweiler“ bekannt. So war er denn von Gott gezeichnet und das hatte sein Gutes, denn anständige Menschen konnten sich so vor dem Unruhestifter hüten. Wurden einmal wieder allerlei Schlechtigkeiten landauf und landab herumerzählt, dann hieß es gleich: „Das hat sicher das böse Schiefmaul wieder ausgebracht“, und kein ordentlicher Mensch wollte es mehr glauben.

Darüber ärgerte er sich dann gewaltig, dass er vor Zorn gelb und grün anlief und wie unsinnig herumrannte und sich auf allerlei boshafte Weise zu rächen und jedem die Freude zu verderben suchte. Hatten die Hirtenknaben sich ein Feuerchen angezündet und saßen friedlich im Kreise herum, dann kam er mit einer Schippe geschlichen und schüttete die Glut über die schreienden und davoneilenden Knaben aus und schimpfte sie Faulenzer und Tunichtgute, obgleich er selbst ein Erzfaulenzer war, der sein Geschäft vernachlässigt und nur umherlief, um überall Unheil anzustiften.

Wollte seine brave Frau die Kirche besuchen, wie es die Pflicht eines jeden Christenmenschen ist, dann war es, als ob der Teufel in ihn gefahren sei, er schimpfte und wetterte und lief wie ein wildes Tier umher, denn da er selbst nichts vom Beten und Kirchgehen hielt, suchte er auch anderen die Freude daran zu verderben. Kam die Zeit zum Kirchgange, dann schlich er oftmals mit dem Spinnrade auf dem Rücken aus dem Hause. Kam dann seine Frau an den Kreuzweg, wovon der eine Weg nach Eschweiler führt, dann stand das Rad mitten im Wege. „Ach, du mein liebes Spinnrädchen“, jammerte dann die Frau und schlug die Hände über den Kopf zusammen und wusste nicht, ob sie ihr Spinnrad nach Hause tragen und die Kirche versäumen oder das Rad stehen lassen sollte, wo es am Ende gestohlen werden konnte. War sie dann über diese Verlegenheit und den bösen Streich ihres Mannes recht traurig, dann hatte er eine teuflische Freude und lachte: „Haha, soso, jaja, war das wieder einmal ein Spaß. Wozu beten und in die Kirche gehen.“

Als seine Frau einst ausgegangen war, gab ihm der Teufel einen recht hässlichen Gedanken ein. „Jaja, soso, da werde ich mir einen Spaß mit dem Dienstmädchen machen“, redete er vor sich hin und polterte in ihre Kammer und schrie: „Auf der Stelle mach mir ein ordentliches Feuer, du faule Trine.“ Vorher aber hatte der schreckliche Mensch die glühenden Kohlen des Herdes über den Boden der Küche verstreut. Als nun das Mädchen in der Eile und Angst mit bloßen Füßen in die Küche gelaufen kam, verbrannte sie sich an den glühenden Kohlen und vor Schmerz sprang sie von einem Fuße auf den andern. Wie sehr sie auch jammerte, „Lasst mich doch heraus, die Kohlen brennen gar zu sehr“, der grausame Mensch lachte nur dazu, dass ihm die Tränen die dürren Backen und am schiefen Munde herunter liefen, indem er rief, als das arme Mädchen vor Schmerz hinfiel: „Jaja, soso, haha, der habe ich einmal das Tanzen gelehrt!“

Wie seine Frau nach Hause kam, war er wie immer an allem unschuldig. Was konnte der dafür, dass sich die dumme Trine die Füße verbrannt hatte? Da musste denn das Mädchen schweigen, wollte es nicht noch mehr gescholten werden. Als sie aber am Bache ihre Füße kühlte und bitterlich weinte und ganz traurig darüber nachdachte, dass es auf der schönen Welt so böse Menschen gebe, kam ein wunderschöner Vogel geflogen. Der sang ein wunderschönes Lied, so dass sie davon ganz getröstet wurde und all ihr Leid und ihre Schmerzen vergaß. Immer, wenn sie ein neues Leid hatte, sang ihr der schöne Vogel auf dem Apfelbaume alle Trauer aus dem Herzen und so kam es, dass sie allezeit wieder froh und zufrieden war.

Darüber aber ergrimmte der boshafte Mensch, der keiner Seele etwas Gutes gönnte. Einst schlich er ihr nach und schoss den Vogel tot, wie sehr das Mädchen auch jammerte und flehen mochte, sie selbst zu töten, aber ihren schönen Vogel am Leben zu lassen. Damit aber war das Maß seiner Sünden zum Überlaufen voll. In der Nacht bekam er einen Anfall und starb eines elenden Todes, denn stets erfüllt sich: Wie gelebt, so gestorben. Die Leute aber sagten, der Teufel selbst habe ihm den Hals umgedreht und seine Seele geholt und die Kinder sangen: „Perückenhannes ist tot!
Das böse Schiefmaul ist fort!“

Da nun die Leiche nach Ortssitte zum Kirchhof getragen werden sollte, wollte keiner mit dem unheimlichen Toten zu schaffen haben. Sie spannten also die Ochsen an und fuhren die Leiche auf der Ochsenkarre zum Kirchhof. Als sie aber an die Stelle kamen, wo er so oft den bösen Streich mit dem Spinnrade gemacht, entstand plötzlich bei ganz heiterem Himmel ein schreckliches Ungewitter und der Blitz schlug in die Totenlade und warf sie auf den Weg, so dass die schwarze Leiche mit dem gräulich verzerrten Gesichte und dem schiefen Munde herausrumpelte und sich alle entsetzten. Ein Vorübergehender gab den Rat, die guten Leute möchten nicht vergessen, ehe sie die Leiche begrüben, doch ja das böse, schiefe Maul noch extra tot zu schlagen. Pflegt man doch von einem unerträglichen, mit einer sogenannten Revolverschnauze begabte Schwätzer zu sagen, dem müsse man den Mund nach Tode noch besonders totschlagen, ehe er still stehe. Es bleibt aber dahingestellt, ob diese Warnung befolgt wurde.

Quelle: Von Pfarrer Krause, veröffentlicht 1913; www.sophie-lange.de