Das Schicksal eines Grafen von Nideggen

Einst lebte auf dem Schlosse zu Nideggen ein gewalttätiger Graf Wilhelm, der einen Bischof von Köln jahrelang gefangen hielt. Selbst seine Gemahlin (Alvaradis von Molbach) musste in den Kerker wandern. Um ihre Pein zu vergrößern, bestrich er sie eines Tages mit Honig, sperrte sie in einen Eisenkorb ein und stellte ihn am Jenseitsturme des Schlosses auf, damit sie von Bienen und Wespen zerstochen werde. Darauf ritt er nach Köln in dem Gedanken, sie nach seiner Rückkehr tot aufzufinden. Es sollte anders kommen.

Kaum hatte sich die Kunde von der ruchlosen Tat des Grafen verbreitet, als die Weiber aus den Dörfern des Kirchspiels Drove sich in Nideggen einfanden, um die unglückliche Gräfin zu retten. Den Grafen aber ereilte auf seiner Heimkehr die Strafe Gottes. Als er am Spätnachmittage von Köln gegen Nideggen ritt, scheute das Pferd; es kam zum Sturze, und er brach den Hals. In der Nacht brachte man seine Leiche nach Nideggen. So war die Gräfin ihres Drängers ledig. Aus Dankbarkeit schenkte sie ihren Befreiern den Wald Mausauel auf ewige Zeiten.

Andere erzählen, der Graf sei bis zum Altwerk vor Nideggen gekommen, als ihm die Nidegger, die mehr zum Grafen hielten, die Nachricht von der Befreiung seiner Gemahlin brachten. Im höchsten Zorne darüber gab er dem Pferd die Sporen. Es sprang zur Seite, der Graf stürzte und kam zu tödlichem Falle.

Wieder andere sagen, der Graf habe auf dem Jenseitsturme ein Riesenfass auf einem hohen Mastbaume aufstellen lassen, um von Köln aus seine Residenz sehen zu können. Das Riesenfass, das vom Abendsonnenscheine goldig beleuchtet wurde, erschreckte das Tier so sehr, dass es sich aufbäumte und der Graf durch die Wucht seines Sturzes getötet wurde.

Des Grafen Strafe war nicht mit seinem jähen Tode zu Ende. Im Grabe fand er keine Ruhe. In der Mittagsstunde von 12 bis 1 sah man ihn jedes Mal mit einer weißen Mütze auf dem Kopfe auf der Untertüre (Gadde) des Stalles gelehnt stehen, wie er unverwandt in den Hof blickte. Des Nachts riss er ein Pferd aus dem Stalle und jagte mit ihm die Treppen des Jenseitsturmes auf und ab, bis das abgehetzte Tier nicht mehr weiter konnte. Morgens stand es noch schaumbedeckt im Stalle.

Ein Pater hat endlich den Geist hinter das Siebengebirge verwiesen.

Der eiserne Korb, in dem die Gräfin geschmachtet hat, steht noch heute zum Andenken im Turme der jetzigen Pfarrkirche zu Nideggen.

Quelle: Heinrich Hoffmann: „Von Römern, Rittern und ruschigen Juffern“ Zur Volkskunde des Jülicher Landes, Sagen aus dem Rurgebiet; Rundblick Rureifel, 21. Oktober 2011; www.heimat-geschichtsverein-nideggen.de; eifelon.de