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Die Geister im Stromberg und im Löbauer Berg

  bei Löbau

Als in uralter Zeit der Stromberg bei Weißenberg aufgehört hatte ein feuerspeiender Berg zu sein und die durch Feuer entstandenen Höhlen erkaltet waren, zogen in dieselben Gespenster und Geister ein, welche auf dem Berge und dessen Umgebung ihr Wesen trieben. Sie hatten ihre besonderen Feste, zu welchen sie ihre Kramwaaren in Weißenberg kauften, auf den naheliegenden Dörfern aber Milch und Quark. Beim Einkauf gaben sie den Leuten verschiedene Räthsel auf, welche jedoch die Menschen zur grössten Freude der Geister niemals rathen konnten. „Denn so Jemand unsere Räthsel löst“ sagten sie, „so dürfen wir fürder nicht mehr im Stromberg bleiben; das würde uns aber sehr verdriessen, denn hier gefällt es uns gar zu gut.“

Eines Tages hatten die Geister in Weißenberg alle Kramwaaren aufgekauft und in Särka und Maltitz alle Milch und allen Quark; daraus erriethen die Leute, dass man sich im Stromberg zu einem grossen Feste rüste. Des andern Tages in den Vormittagsstunden ackerte ein Knecht in der Nähe des Strombergs und hörte das Geklapper von Backgeräthschaften. Eine Weile schwieg er, dann aber rief er seinen Pferden laut zu: „Geht, meine Braunen, geht; hier ist es ja auch so, dass die Nase Alles und der Mund Nichts bekommt!“ Aber wie wunderte er sich, als er an das Ende des Ackers kam und einen frischgebackenen Kuchen bemerkte, in welchem ein Messer mit goldenen Schalen steckte; nebenbei stand ein geschliffenes Krystallglas mit Getränk. Vom Berge her aber rief Jemand: „Den Kuchen darfst Du essen, aber ganz muss er bleiben. Das Getränk darfst Du trinken, aber die Nase darfst Du nicht in das Glas stecken!“ Der Knecht besann sich ein Weilchen, dann nahm er das Messer und schnitt das Mittelste des Kuchens so ans, dass der Band desselben ganz blieb; darauf trank er aus dem Glase so, dass er nicht die Nase, sondern das Kinn in das Glas steckte. Nachdem er Alles aufgegessen und ausgetrunken hatte, ackerte er ruhig weiter. Als er wieder zum Ende des Ackers kam, waren Kuchen und Glas verschwunden; vom Berge her aber rief es: „Dich hat der Teufel klug gemacht, jetzt müssen wir mit schwerem Herzen scheiden!„

Am folgenden Morgen erhielten die Leute in Krapitz und Kattlitz von den Geistern den Befehl, sie sollten in der nächsten Nacht die Hunde angebunden halten und sich nicht aus den Wohnungen rühren. Das thaten auch die Leute. In derselben Nacht aber hatte sich ein Mädchen im Freien verspätet. Da hörte es auf der Strasse von Weißenberg Wagengerassel und Pferdegetrappel. Das Mädchen blieb neugierig unter dem Thorweg stehen. Zuerst sah es eine Menge kleiner Geister in guter Ordnung Vorüberziehen. Dann folgten Reiter, mit alten, verschimmelten Jacken angethan, hinter welchen zwölf kleine schone Ochsen einen grossen, eisernen Wagen mit silbernen Beifen zogen, auf welchem sich eine grosse Pfanne, die mit Gold gefüllt war, befand.

Als der Wagen vorüber war, folgten wieder Reiter, angeführt von einem Manne mit einem hohen Federbusche. Am Thore, unter welchem das Mädchen zitternd stand, hielt plötzlich der Anführer und begann sorgfaltig auf der Erde zu suchen. Als dem Mädchen nichts geschah, fasste es Muth, trat naher und sprach: „Was sucht Ihr, mein Herr?“ Dieser wandte sein bärtiges Antlitz und seine blitzenden Augen der Fragenden zu und antwortete missmuthig. „Einen Ring habe ich verloren,“ darauf suchte er weiter. Das Mädchen begann jetzt auch zu suchen, und fand wirklich den Ring. Derselbe war von reinem Golde, geschmückt mit einem grossen, funkelnden Edelstein. Das Mädchen trat schnell an den Herrn heran und übergab ihm den Ring. Dieser nahm ihn hocherfreut und sprach zu ihr: „Heute kann ich Dir nichts geben, aber komm über's Jahr auf den Löbauer Berg, dort will ich Dich belohnen!“

Uebers Jahr machte sich das Mädchen auf, aber nicht allein, der Storch hatte ihr inzwischen ein Söhnchen gebracht, und mit diesem ging das Mädchen auf den Löbauer Berg. Als es am Berge war, sah es in einer Felsenwand ein Thor weit geöffnet. Durch dasselbe gelangte es in eine grosse Höhle, in welcher ein goldener Tisch stand: an dem Tisch sassen die Reiter, welche in jener Nacht vorüber gezogen waren, aber alle schliefen.

Kaum war das Mädchen eingetreten, so reckten Alle die Köpfe in die Höhe, ein alter Reitersmann aber trat herzu und fragte: „Beschenken sich die Wenden noch gegenseitig mit frischgebackenem Brode?“ Ohne Furcht antwortete das Mädchen: „Ja wohl!“ Der Alte fragte weiter: „Fliegen in der Lausitz noch die schnatternden Vogel mit den langen Schwänzen?“ Das Mädchen wusste nicht sogleich, welche Vogel der Alte meinte, doch fiel ihm ein, es mochten wohl die Elstern sein, und schnell antwortete es: „Ja, ja, deren giebt es dort noch genug.“ Da liess der Alte den Kopf hängen und sprach: „Dann ist unsere Zeit noch nicht gekommen.“

Nach diesen Worten ging er an seinen Ort, und Alle schliefen wieder ein. Darauf trat jener Anführer, welcher den Ring verloren hatte, zu dem Mädchen und zeigte ihm eine grosse Pfanne voll Gold; er sagte, dasselbe könne davon nehmen, so viel es wolle. Das Mädchen liess sich nicht lange nöthigen, setzte das Kind auf den goldenen Tisch, füllte die Taschen, raffte die Schürze voll und trug das Gold hinaus, um dann das Söhnchen zu holen. Aber kaum war das Madchen vor dem Felsen, so schlug das Thor zu, in Löbau aber schlug die Uhr eins. Das Mädchen fiel ohnmächtig zur Erde, als es die kahle Felsenwand vor sich sah. Als das Mädchen wieder zu sich gekommen war, rief und weinte es; aber vergebens rang die junge Mutter die Hände und bat Gott auf den Knieen um ihren Sohn, es war Alles umsonst, der Fels öffnete sich nicht wieder. Da ward ihr auch das Gold gleichgültig. Als kein Beten und Jammern half, eilte sie nach Löbau hinab und fragte dort alle Geistlichen um Rath, aber auch die konnten nicht helfen. Endlich rieth ihr ein alter, kluger Mann, sie möchte über's Jahr wieder zu dem Berg gehen, und sehen, ob sich der Felsen wieder öffnen werde.

Schon eine Woche vor der festgesetzten Zeit stand das Mädchen vor dem Felsen, um die rechte Stunde nicht zu versäumen. Endlich nahte die letzte Nacht. In Löbau auf dem Thurme schlug es zwölf: in demselben Augenblieke öffnete sich der Felsen. Freudig eilte das Mädchen in die Höhle. Und welche Freude! auf dem Tische sass das Söhnchen und spielte mit einem goldenen Apfel. Eilig erfasste die Mutter ihr Kind und lief mit demselben hinaus, schnell wie der Wind; sie sah sich nicht um und stand nicht still, bis sie glücklich nach Krapitz kam. Hier erst vermochte sie sich von Herzen über die glückliche Errettung ihres Sohnes zu freuen.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880