Burg und Mühle von Gödersheim

Es war einmal ein junger schöner Müller, der mahlte dem Ritter von Gödersheim seinen goldgelben Weizen, den er auf dem fetten Boden des Neffelbachtales zog. Der Müller war ein rechter Lebensmeister, stets fleißig und fröhlich bei der Arbeit mit Singen und Pfeifen. Darum nannten die Leute ihn den ”lustigen Müller”.

Nun hatte der Ritter von Gödersheim auch eine Tochter, ihre Schönheit war weitum im Lande bekannt. Sie hatte Wangen so rot wie Kirschen und langes Haar so goldegelb wie der Weizen draußen auf dem Feld. Jeden Morgen stand sie am Fenster der Burg und schaute dem lustigen Müller zu. Dann dachte sie wohl bei sich: ”Den möchtest du wohl zum Mann haben!” Aber auch der Müller sah das schöne Jungfräulein und dachte: ”Die möchtest du wohl zur Frau haben!”

Wie das so geht, aus den Gedanken wurden Worte, bald trafen die beiden sich in aller Heimlichkeit, und aus dem Einmal wurde ein Mehrmal. Der lustige Müller wurde immer fröhlicher, er sang jeden Morgen ein Lied, das fing an:

”Es war einmal ein Müller, Der mahlte das gold’ne Korn. Der liebte eine schöne Maid, Die trug vielgoldenes Haar”.

Dann kam das schöne Burgfräulein ans Fenster und winkte dem Burschen zu. Danach war der lustige Müller noch einmal so lustig. Nun hatte aber eines Tages der Ritter das Treiben der beiden Jungen entdeckt. Er geriet darüber in großen Zorn und jagte den Müller bei Nacht und Nebel davon.

Da wurde das Fräulein sehr traurig. Sie weinte den ganzen Tag, ihre Wangen wurden ganz bleich, nichts mehr konnte ihr Freude machen. Denn sie hatte sich vor- genommen, nie mehr im Leben zu lachen. So ging das manches Jahr. Da konnte schließlich der Vater das Leid nicht mehr mit ansehen, er ließ überall im Land verkünden, wer seine Tochter wieder zum Lachen bringen könne, der solle sie zur Frau haben. Gar viele versuchten darob ihr Glück, aber es mochte keinem gelingen.

Eines Tages nun aber kam ein Spielmann auf die Burg und er wollte die schwere Aufgabe auch lösen. Er bat den Vater, ihn eine Weile mit dem Mädchen allein zu lassen. Als sie aber allein waren, da begann er zu singen.

”Es war einmal ein Müller, Der mahlte das gold’ne Korn. Der liebte eine schöne Maid, Die trug vielgoldenes Haar”.

Da trocknete die Jungfrau rasch ihre Tränen, lachte und jubelte ganz laut vor Freude, fiel dem Spielmann um den Hals und küßte ihn. Sie hatte den lustigen Müller erkannt. Als der Ritter das Lachen hörte, schaute er erstaunt ins Zimmer. Da er aber ein Mann von Wort war, löste er auch sein Versprechen ein. Und die beiden lebten recht glücklich mit einander.

Quelle: Wollersheimer Geschichts-Blätter, Nr. 39, März 1997