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Der Berggeist läßt sich von einem Bergmann Lieder singen und arbeitet während dieser Zeit für ihn

Joseph, ein junger Bergknappe, war bei allen seinen Kameraden wegen seines harmlosen, fröhlichen Gemütes beliebt. Besonders im Gasthause und bei lustigen Gelagen war er wohl gelitten, da er durch seinen Gesang alles in heitrer Stimmung zu erhalten wußte. Von Natur aus mit einer schönen Stimme begabt, hatte er auch viel Sinn für Musik, und ein feines, treues Gehör, welches Ursache war, daß er jedes Lied, das er zwei bis dreimal gehört hatte, auch schon auswendig wußte. Er trug einen reichen Vorrat solcher Gesänge in seinem Kopf, und wenn der fleißige Häuer in der Grube nach dem Fäustel griff, ertönte schon seine Stimme hell, und gewöhnlich begann er mit einem kühnen, prächtigen Jodler, welchem ein gemütliches Alpenlied folgte, worauf er ein ganzes Register von Bergmanns-, Soldaten-, Gesellschafts- und Trinkliedern durchmachte, ohne zu ermatten. Er vertrieb sich auf diese Art die Zeit, da er an einem abgelegenen Orte einſam arbeiten mußte, was sein unmittelbarer Vorgesetzter, ein tückischer Hutmann, der dem heiteren Gesellen nicht hold war, veranlaßt hatte. Zudem war die Arbeit hart, und der Lohn gering, so daß Joseph sich mit Not das erwarb, was er zum täglichen Lebensunterhalte brauchte; nichts destoweniger war der Bursche stets guter Dinge und nichts konnte ihm seinen heiteren Sinn trüben.

Eines Morgens, als er bei der Arbeit wieder seine Stimme lustig erschallen ließ, wurde er plötzlich gewahr, daß in einer Ecke des Raumes, innerhalb welchem er arbeitete, eine kleine Gestalt, halb Bergmann, halb Einsiedler, auf einem Felsstücke kauerte und dem Gesange aufmerksam zuzuhören schien. Joseph, der keine Furcht kannte, auch nicht gerne gegen jemanden ohne Ursache unfreundlich war, dachte: Sei es, wer es wolle, wenn er mich nicht stört, mag er in Ruhe an seinem Platze bleiben und mir zuhören. Und er arbeitete rüstig weiter, und sang fröhlich wie zuvor. Als aber die Schicht zu Ende war, verschwand wieder das Männlein.

Am folgenden Tage hatte sich der Kleine wieder eingefunden, lauschte schweigend dem Gesange, und verlor sich, als die Arbeit beendet war, wieder spurlos. So ging dies etliche Tage unausgesetzt fort, bis endlich die Sache unsern Joseph zu kitzeln begann, der auf die Dauer einen schweigenden Gesellschafter nicht gern um sich duldete. Vielleicht bringe ich ihn auf, wenn ich nicht singe, dachte er, ich will es probieren. Und er sang heute nicht. Sein bisheriger Zuhörer blieb geduldig, als erwartete er, Joseph werde wieder beginnen; aber dieser schwieg hartnäckig, und der Fremde bekam diesmal nichts zu hören; trotzdem harrte er aus, bis die Arbeit zu Ende war. Am nächsten Tage wiederholte sich dasselbe Spiel. Joseph sang nicht, aber der Kleine rührte sich nicht von der Stelle, bis Joseph seine Arbeit verließ.

Auch am dritten Tage blieb Joseph hartnäckig; da - als schon bald die halbe Arbeitszeit vorüber war trat mit einem Male der Kleine vorwärts und sprach mit barscher Stimme: „Singe!“ Joseph wandte sich erstaunt um und betrachtete zum ersten Male den zudringlichen Kameraden mit aufmerksamem Blicke. Der herrische Ton kontrastierte aber mit dem unbedeutenden Äußeren des Männleins so gewaltig, daß dessen Auftreten dem Häuer bei nahe lächerlich vorkam. Joseph würdigte ihn daher keiner Antwort und kehrte ihm den Rücken, um wieder fortzuarbeiten. „Singe, ich werde statt deiner arbeiten!“ herrschte ihm der Kleine nochmals zu, und diesmal konnte Joseph sein Lachen nicht unterdrücken. Mit heiteren Blicken maß er den Sprecher vom Kopfe bis zu den Füßen und sagte dann in gutmütigem Scherze: Ich bins zufrieden, wenn du mich in der Arbeit ablösen willst; ich werde indessen wacker darauf lossingen.“

Ohne ein Wort mehr zu verlieren griff das Männlein nach dem Schlägel und Eisen, während Joseph sich wie zum Spaße auf den Play setzte, den bisher sein Zuhörer eingenommen; er summte anfänglich nur eine Melodie, um sich an des Kleinen Beginnen sattsam zu ergötzen. Doch wie ward ihm zu Mute, als er denselben mit vielem Geschicke und mit einer so außerordentlichen Kraft die Arbeit bewältigen sah, wie er es selbst nicht im Stande gewesen wäre! Das Gestein brach unter seinen Streichen mürbe zusammen, als sei es gebrannter Thon, und in einer Viertelstunde lag ein größerer Haufen Erz da, als sonst Joseph während der ganzen Schicht gewonnen. Dieser aber, als er sich gut bedient sah, jauchzte vor Freude laut auf und sang und jodelte so ausgelassen lustig, daß es in den düsteren Räumen weithin widerhallte.

„Du bist ein wackerer Geselle,“ sprach er endlich, als das Männlein das Arbeitszeug hinwarf, du hast dein Wort redlich gehalten.„ „Will es alle Tage thun,“ versetzte dieser in seinem kurzen, barschen Tone; „du singst, ich arbeite.“ „O, dann werde ich mich auf einen höheren Lohn schwingen als bisher,“ sprach Joseph freudig. „Auch neben deinem Lohne soll es dir nicht an Geld fehlen,“ fuhr der Fremde fort, aber wage es ja nicht, jemand von meiner Beihilfe zu erzählen,1) es würde sonst dein Leben kosten. Zerreißen würden dich meine Hände, die dir jetzt deinen Lohn erwerben werden.“ Joseph wagte es nun nicht mehr bei des Kleinen Worten zu lächeln. Das, was er jetzt gesehen, hatte ihn überzeugt, daß er es mit einem Gnomen zu thun habe, dessen Kraft, sowie seine ernsten mahnenden Worte, ihm Respekt eingeflößt hatten. Er antwortete demütig: „Ich danke dir, auch du sollst mit mir zufrieden sein.„

Von diesem Tage an kümmerte sich Joseph nur um neue Lieder; die Arbeit machte ihm keine Beschwerden mehr. Er sang frisch darauf los und der Berggeist arbeitete, ohne daß je ein Wort zwischen ihnen gewechselt wurde. Des Bergmanns Tasche war von nun an nie mehr leer.

Als am Schlusse des Monats der Schichtmeister mit dem Hutmanne in die Grube kam, um den Arbeitern das Gedinge abzunehmen, damit er ihnen nach dem Maße ihrer Leistungen den Lohn festsetze, erstaunten sie nicht wenig über die gewaltige Arbeit, die Joseph vor sich gebracht, und selbst der unbillige Hutmann mußte zugeben, daß Joseph viel geleistet habe und einen besseren Lohn verdiene. Als er aber mit dem Schichtmeister wieder allein war, wußte er denselben zu überreden, daß diese Arbeit für den kräftigen Burschen, wie er sich ausdrückte, zu leicht sei, und Joseph wurde auf des Hutmanns Anraten auf einen Ort versetzt, wo das Gestein fester, die Arbeit unbequemer und überhaupt Beschwerden verschiedener Art zu überwinden waren. Er wird im nächsten Monat gewiß auf keinen so hohen Lohn mehr kommen, dachte der menschenfeindliche Hutmann; allein er hatte sich geirrt. Der Gnome ließ seinen Schützling nicht sinken; seinen Händen mußte der Fels weichen, mochte auch der Schlag hell wie auf Stahl klingen; mochte auch der Raum klein und eng sein, mochte auch Wasser zudringen, alle Hindernisse wurden kräftig überwunden, und während Joseph sang, brach der Gnome mächtige Trümmer und schöpfte spielend das andringende Wasser. Der Hutmann bemühte sich zwar kräftig, Josephs Verdienst zu schmälern; der Schichtmeister aber, der nun einsah, daß des Hutmanns Gehässigkeit Joseph verfolge, gab demselben seine vorige Arbeit wieder, und Joseph hatte nun nicht mehr über Lohnverkürzung zu klagen.

In Josephs Lebensweise begann aber allmählich eine Veränderung vorzugehen. Da er nicht mehr zu arbeiten brauchte, um seinen Lebensunterhalt zu decken, so wurde aus dem fleißigen, thätigen Bergmann bald ein träger, weichlicher Mensch; sein steter Vorrat an Barschaft fesselte ihn an die Wirtshäuser; er wurde ein Zecher, Spieler und Raufbold, und von seinen früheren angenehmen Eigenschaften, die ihn sonst bei jedermann beliebt gemacht hatten, war bloß der Gesang übrig geblieben, den er aus guten Gründen nicht vernachlässigen konnte. Übrigens that er mit seinem Gelde nicht karg, und sein gutes Herz, das sich auch im Sumpfe des Wohllebens nicht verleugnete, ließ ihn seinen Überfluß mit den ärmeren Kameraden willig teilen. Da es zu leicht erworben war, so hatte es für ihn keinen großen Wert.

Wie es aber im Leben zu häufig geschieht, daß man gerade von demjenigen, welchem man die größten Gefälligkeiten erwiesen, den schlechtesten Dank erntet, so war dies auch hier der Fall. Josephs Kameraden wurden ihm um sein besseres Einkommen neidisch und suchten auf jede mögliche Weise auszuspionieren, woher er so bedeutende Zuflüsse habe; denn daß er sichs nicht allein in der Grube verdiente, das hatten sie bereits längst wegbekommen, da sich Joseph durch sein unkluges Benehmen täglich Blößen gab. Sie hatten ihn schon öfters, da sie ihn stets singen hörten, bei der Arbeit überrascht, um sich zu überzeugen, ob nicht jemand ihm dabei helfe, weil er für seine Person mehr vor sich brachte, als zwei oder drei von ihnen; allein sie hatten nie jemand bei ihm getroffen und ihn stets arbeitend gefunden. Auch in dieser Sache schützte der Berggeist seinen Sänger.

Aber endlich faßten drei Kameraden den festen Entschluß, um jeden Preis ihm das Geständniß zu entlocken, woher sein Reichtum stamme, der trotz Josephs Wohlleben nicht abzunehmen schien. Sie hatten zu diesem Zwecke bisher schon mancherlei Versuche gemacht, aber alle waren bei Josephs Vorsichtigkeit vergeblich gewesen. Allein nun war das Bergfest wieder herangekommen, und dabei ging es in der Regel sehr toll und lustig her; so auch diesmal. Die drei Gesellen wagten an diesem Tage einen verzweifelten Angriff auf Josephs Standhaftigkeit, ohne übrigens sich den Anschein zu geben, als interessiere sie noch sein Geheimniß. Dem, wovor sich Joseph bisher sorgfältig gehütet, gänzlicher Trunkenheit, diesem Fehler sollte er heute unterliegen. Bisher hatte er dem Weine zwar täglich fleißig zugesprochen, allein sich nie bis zur Sinnlosigkeit berauscht, denn er traute seiner Zunge nicht; heute wußten ihm die Kameraden auf andere Weise an den Leib zu gehen; sie machten ihn eifersüchtig, und in seiner Eifersucht trank er über die Gebühr. Sie trachteten ihn dann in ihre Mitte zu bekommen, heuchelten Teilnahme, versprachen ihm zu helfen und Joseph erzählte wie aus Dankbarkeit sein ganzes Geheimnis.

Tödlicher Schreck überfiel ihn, als es heraus war. Er hatte schnell einen Teil seines Rausches wieder verloren; die Worte ließen sich jedoch nicht wieder zurücknehmen. In Fieberträumen brachte er die Nacht hin, und bevor der Morgen graute, war er wieder wach. „Es kostet mein Leben,“ murmelte er vor sich hin, „ich muß mich mit Gott versöhnen.“ Und noch an demselben Morgen beichtete er reumütig und empfing den Leib des Herrn mit Andacht.

Unten harrte schon der Gnome seiner mit funkelndem Blick und drohender Geberde, indem er Joseph winkte, er möge einen bereitstehenden Hund besteigen. Joseph stürzte auf die Kniee und flehte um Gnade, der Gnome aber faßte ihn mit Riesenkraft, schleuderte ihn auf den Hund, und fort brauste das Fuhrwerk. An einem runden Platze, wo die drei verräterischen Kameraden saßen und Joseph verlachten, hielt der Hund. „Schurken!“ donnerte der Geist, „ihr habt euren Kameraden verführt, seht seine Strafe!“ Und in demselben Augenblicke wurde Joseph vor ihren Augen durch einen kräftigen Schlag thatsächlich zermalmt. Dann war der ganze Spuk verschwunden, während die drei Bergleute halb ohnmächtig hinsanken.

Ganz unkenntlich wurde Josephs Leichnam aus dem Bergwerke gebracht. Aber die drei hinterlistigen Kameraden wurden ihres Lebens nicht mehr froh, die Erinnerung an diese schreckliche Begebenheit, die sie selbst herbeigeführt, wollte nicht aus ihrem Gedächtnisse schwinden, und alle drei starben nicht lange darauf eines gewaltsamen Todes durch einen Unfall bei ihrer Arbeit.

Quelle: Friedrich Wrubel, Sammlung bergmännischer Sagen, Seite 82-86


1)
Vgl. H, 29