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Der Berggeist warnt vor einem bevorstehenden Unglück

Ein Bergmann, der bei einem Maurer wohnte, stand eines Morgens ganz trübselig und verstimmt auf, indem er zu seinem Hausherrn äußerte, es bange ihm vor dem „Berggehen,„ da ihm ein Unfall bevorstehe. Der Maurer fragte, woher er dies vermute. „Ich wachte heute Nacht,“ erzählte der Bergknappe, „plötzlich ganz ohne Ursache auf, ohne mehr im Stande zu sein, wieder einzuschlafen. Während ich so ganz munter da lag, stand auf ein mal die weiße Gestalt des Berggeistes deutlich vor meinem Bette und sah mich mit unverwandtem Blicke an, indem sie den Finger wie warnend emporhob. Ich konnte dies beim Dämmerlichte der Mondnacht deutlich unterscheiden. Dann war mirs, als hörte ich die Worte flüstern: „Gieb Acht!“ und die Gestalt verschwand.“ „Hm,“ bemerkte der Hausherr, „das war nur ein Traum.“ „Nein, ich war vollkommen wach. Und wärs auch ein Traum gewesen, ich nehme ihn als Prophezeiung oder Warnung an.“ — „Nun denn,“ versetzte der Maurer, wenn ihr der Sache Bedeutung bei legt, so könnt ihr sie ja in der Art nützen, daß ihr auf eurer Hut seid, mehr läßt sich in einem solchen Falle nicht thun. Und im Übrigen seid mutig und guter Dinge; dem Furchtsamen stößt immer leichter etwas zu, als dem Besonnenen und Furchtlosen.“ Und hiermit schieden sie, jeder seinem Tagewerk folgend.

Dem Bergmann ging die Arbeit flink von der Hand, und er vergaß in seinem Eifer ganz die nächtliche Erscheinung. Da als er ein wenig rastete und es rings um ihn her still war, fielen plötzlich einige Stückchen kleinen Gerölles von der Firste dicht vor dem Bergmann nieder. Dieser blickte wohl auf, da sich aber seiner Meinung nach nichts Verdächtiges zeigte, so blieb er ganz ruhig und erhob sich bald darauf wieder, um seine Arbeit fortzusetzen. Er hatte jedoch kaum fünf Minuten gearbeitet, als mit einem male krachend sich die Firste löste und die stürzenden Felsstücke dem sorglosen Arbeiter die Glieder jämmerlich zerschmetterten. Er hatte sich gerade gebückt, und darum war der Oberleib verschont geblieben und der Unglückliche durch den Druck nicht getötet worden, so daß er noch im Stande war, Klagetöne von sich zu geben, welche von seinen Kameraden gehört wurden, die herbeikamen, ihn von seiner Last befreiten und dann eilends nach Hause trugen.

Als der Maurer heimkehrte und mit Entsetzen den jämmerlichen Zustand seines Mietmanns gewahr wurde, sprach er betrübt: „Es war heute Nacht doch ein Anzeichen von dem euch bevor stehenden Unglücke, trotzdem ich es nicht glauben wollte.“ „Ach, mein lieber Hausherr,“ entgegnete der Verunglückte, „es war eine Warnung, die, wenn ich sie besser beachtet hätte, den Unfall würde verhütet haben. Ich war in der Grube zu sorglos und habe nicht darauf geachtet, als der Berggeist mich durch das Fallen des Gerölls zum zweiten Male warnte. Ihr hattet recht, als ihr sagtet, ich solle auf meiner Hut sein. Ich hätte leicht entrinnen können; nun büße ich meine Unachtsamkeit mit dem Leben.“

Und er hatte wahr gesprochen. Bevor noch die Nacht vergangen war, lag er da - eine Leiche.

Quelle: Friedrich Wrubel, Sammlung bergmännischer Sagen, Seite 80-81