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Der Berggeist rettet einen Bergmann I

In einer Nacht des Jahres 1862 lag ein Hauer einer größeren Kohlengrube Oberschlesiens vor Ort und schrämte. Durch ein hinter seinem Rücken entstandenes Geräusch gestört, wendet er sich um und erblickt den Berginspektor in Begleitung eines fremden Steigers. Sie begrüßen sich in herkömmlicher Weise mit einem »Glück auf!« und der Berginspektor äußert, es sei unzulässig, dass er allein hier liege. Er wolle dafür sorgen, dass er bald einen Kameraden erhalte, und verlässt ihn wieder.

Der Hauer will von Neuem an seine Arbeit gehen, vermag aber vor Unruhe über die ungewöhnliche nächtliche Erscheinung keinen Schlag zu tun. Er kleidet sich daher eilig an, verlässt das Ort und sucht die an einem anderen, entfernteren Ort liegenden Arbeiter auf. Er fragt hier an, ob der Berginspektor mit dem fremden Steiger auch bei ihnen gewesen sei. Auf die Verneinung dieser Frage hin begibt er sich nach einem zweiten und dritten Ort. Überall dieselbe Frage, überall dieselbe Antwort.

Seine Unruhe teilt sich den anderen Arbeitern mit, die Nachricht der Erscheinung verbreitet sich im ganzen Grubengebäude, und die Arbeiter beschließen auszufahren und dem zuständigen Steiger Mitteilung zu machen. Da fällt dem Hauer ein, dass er seine Halmscheide1) vor Ort zurückgelassen habe. Er bittet einen Kameraden ihn dahin zu begleiten, weil er sich fürchte, es jetzt allein zu besuchen. Es schließen sich ihm noch mehrere derselben an. Sie kommen vor Ort, und siehe da! Die Kohlenwand, welche er unterschrämt hatte, ist hereingebrochen und zentnerschwere Kohlenblöcke türmen sich über der Stelle auf, an welcher er vorher gelegen hatte und welche ohne Zweifel sein Grab geworden wäre.

Quelle: Friedrich Wrubel, Sammlung bergmännischer Sagen, 1883


1)
Halmscheide – ein hölzerner oder blecherner Behälter für die zum Entzünden der besetzten Löcher mit Pulver gefüllten Strohhalme; meistens nur noch in Kohlengruben gebräuchlich